Via Bavaria

Am Neujahrstag 2011 starte ich mit guten Vorsätzen von Riedenburg, dem Anfang der Welt, zum Pfänder am Bodensee durch das südwestliche Bayern mit den ersten siebenzehn Etappen zum Ende der Welt.

In Tageswanderungen mit täglicher Anreise/Abreise zum/vom Start/Ziel gelange ich von Dahoam bis nach Augsburg.

Mit zunehmender Entfernung erweist sich dies nicht mehr als praktikabel. Zentral von Augsburg nehme ich daher die täglichen Strecken bis Türkheim unter die Füße.

Ab Türkheim bis Bregenz übernachte ich für eine Woche an meinem jeweiligen Zielort. Nicht nur das Ankommen, sondern das Verbleiben verstärkt das Erlebnis ungemein.

Von Hemau bis Bettbrunn

Es ist Acht. Ich sitze beim Frühstück und überlege, wohin ich den an diesem Pfingstsonntag gehen könnte. Ein paar Kilometer dürften es schon mal wieder sein.

Da fällt mir ein, heute ist die 531. Hemauer Fußwallfahrt nach Bettbrunn. Ausgerechnet dorthin zu gehen und das über Jahrhunderte ist schon einmal Grund genug, sich einen persönlichen Eindruck zu verschaffen. Leider sind die Wallfahrer schon um Viertel nach Sieben aufgebrochen.

Da bleibt nur hinterherlaufen. Die Strecke nach Riedenburg und Grub dahinter kenne ich wie meine Westentasche. Spätestens dort werde ich den Zug eingeholt haben. Kurz vor Neun breche ich auf.

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Strammen Schrittes geht es durch die Hoi unter Bügerl vorbei. Bedeckter Himmel! Nicht zu warm, nicht zu kalt! Schuhe passen! Rucksack sitzt! Optimal!

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Hinter Altenlohe ist schon der Beckerberg mit dem Sendermast. Am Anstieg selbst ist nichts unangenehmes. Schweinestallemissionen unten sind wohl oder übel gewöhnlich. Der ortsfremde Teergestank an der Baustelle oben an einem Feiertag schon merkwürdig.

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Bei Jachenhausen lädt ein Bänklein zur Rast. Noch keine Zeit!

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Auch beim Teufelsfelsen keine Zeit, um einen Blick ins Tal zu werfen! Immer weiter!

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Bei der Schneiderkapelle dann die ersten Spuren des Zuges, der sich vor dem wahrscheinlich gebetsfreien Abstieg nach Riedenburg wohl vorübergehend aufgelöst hat.

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Elf Uhr! An der Bank unter dem ehemaligen Steinbruch habe ich nun genügend Zeit für eine Brotzeit bei Grillengezirpe und Vogelgezwitscher. Das ist schon ein tolles Plätzchen hier!

Grub kann ich leicht bis Viertel vor Eins erreichen. Gemütlich spaziere ich durch Riedenburg dem Sammelpunkt für den kollektiven Weitermarsch zu.

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Fast keine Hemauer am Start! Ungefähr hundert Teilnehmer!

HemauBettbrunn_Strasse

Nach Überquerung einer Kreisstrasse mit eigens angelegter Treppe zum Erklimmen einer Straßenböschung wird Hattenhausen auf Waldwegen auf-und-ab erreicht. Der Beteifer der Wallfahrer vom Kind bis zum Senior ist durch nichts zu brechen. Unter festlichen Gebimmel wird der Ort durchquert. Die Einwohner selbst halten sich in ihren Häusern versteckt.

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Schafshill lässt man links liegen, und es erfolgt der Abstieg nach Sandersdorf mit eindrucksvoller Sicht zum Schloss. Die nächste große Rast ist im dortigen Gasthaus. Ohne Stau erfolgt der Durchmarsch in den Saal zu Kaffee und Kuchen. Bis Vier genug Zeit sich zu stärken. Falls dies Überhaupt notwendig ist. Alle scheinen in bester Verfassung.

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Nach Steinsdorf gilt es nochmals eine anspruchsvolle Bergkuppe zu überwinden. Selbstverständlich betend und singend! Keiner denkt daran aufzugeben. Rein optisch muss das auch keiner. Man weiß, worauf man sich einlässt.

Der Einzug in die Salvatorkirche ist triumphal. Zwar ohne Pauken und Trompeten! Aber die einmalige Atmosphäre der innereren Zufriedenheit, des Mit-sich-selbst-und-Gott-im-Reinen sein, überstrahlt in einem solchen Augenblick immer wieder alles. Sie ist mehr als der Stolz auf die gebrachte körperliche Leistung. Viele werden schon jetzt beschließen, dies im nächsten Jahr wieder zu erleben.

Von Riedenburg bis Pattendorf

Dem Faltblatt der Riedenburger Fusswallfahrer nach ist der Weg über Buch, Gut Schwaben, Weltenburg, Arnhofen und Rohr nach Pattendorf am ersten Tag der Wallfahrt mehr als 47 km. Ich bin gut vorbereitet und werde mit diesem Pensum einen persönlichen Tagesrekord aufstellen. Ich bilde mir darauf nicht unbedingt etwas ein, weil fast alle der nahezu 800 Teilnehmer(innen) ebenfalls ankommen werden. Fast schäme ich mich, ohne größere Plagen über die Runden zu kommen. Denn Wallfahren ohne Schmerzen kann jeder. Ich ziehe den Hut vor der Unvernunft all derer, die nach Altötting ohne Vorbereitung müssen, ihre zu erwartende Leiden bewusst in Kauf nehmen und aufgrund welcher Kraft auch immer überwinden. Mir ist das ein Rätsel.

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Es geht angenehm locker zu in Riedenburg an diesem frühen Donnerstagmorgen vor Pfingsten. Die Geschlechtertrennung ist aufgehoben: Frau und Mann beten miteinander und nebeneinander und nicht hintereinander. Kurze Hosen sind selbstverständlich. Selbst ein die knackigen Hinterbacken betonendes Triathlonoutfit mit hautengem Achselshirt und genügend Lücken zur freien Sicht auf eine nicht unbedingt katholische Vollkörpertätowierung regt keinen auf: ich hätte dieses Kostüm eher auf der Loveparade erwartet.

Die einzige immer wieder gestellte Forderung ist die Dreierreihe. Die Dreierreihe ist nach Gegrüßet seist Du Maria …,Vater unser im Himmel … und Erbarme Dich … mit die meistbenutzte Phrase. Sie wird mich/uns bis zum Ende begleiten.

Das Gezwitscher der Vögel beim Aufstieg durch den Zauberwald auf den Lintlberg am mahnenden Frauenstein vorbei, die belohnend weite Aussicht dort in Gottes freier Natur ohne störenden Autolärm und Besiedlung, all die Menschen mit dem spürbar guten Willen machen schnell die unbeantworteten Fragen und ungelösten Probleme von gestern unwichtig. Schon jetzt bin ich froh mitgegangen zu sein. Meine Auszeit hat begonnen. Nur das Döner Kebab, das ich gestern Abend noch schnell am Münchener Hauptbahnhof eingenommen habe, steckt unangenehm drückend irgendwo in den Eingeweiden fest.

Bei optimalen Wander- bzw Wallfahrtwetter legt das Führungskreuz eine überraschend schnelle Pace vor. Trotzdem kommt von meinen Füßen eine wohlige Rückmeldung. Sie scheinen froh wieder in den bewährten Stiefeln zu stecken und sich einmal wieder so richtig ausgehen zu können. Nichts drückt! Damit sind schon die größten Probleme ausgeschlossen.

Unerwartet schnell erreichen wir unsere erste Pausenstation Stausacker. Schon aus weiter Ferne verkündet lautes Geläute die Ankunft wie schon in Buch zuvor und in allen weiteren Etappenorte sofern deren Türme nicht durch Einsturz gefährdet sind.

Nach einem Weißwurstfrühstück studiere ich Wallfahrtstechnologie in Form eines mobilen Lautsprechers und der Donaufähre Stausacker.

Immer wieder treffe ich Bekannte, die ich teilweise Jahrzehnte nicht mehr gesehen habe. Der Tenor ist fast immer der gleiche: „Gerade Dich hätte ich hier nicht erwartet.“ Ich habe ein Imageproblem.

Nach der Mittagspause in Offenstetten heißen kurz vor Rohr die legendären Frommen Kinder, die nun schön langsam dem Kindesalter entwachsen, die Pilger in der Hoffnung auf einen kleinen Obolus willkommen.

Das Ankommen in Rohr vor einem Jahr mündete unbefriedigend direkt in einem Meier-Bus, der drei Minuten später nach Hemau abfuhr. Diesmal ziehen wir feierlich in die Kirche ein. Der neue Abt Markus lässt es sich nicht nehmen, die Pilger persönlich am Portal zu empfangen. In der nachfolgenden Begrüßungsrede zeigt er sich mindestens so tief über den Zug beeindruckt wie ich mich einmal mehr über den Asam-Altar. Diesmal bin ich richtig angekommen!

Der Weg nach Pattendorf ist dann nochmals ein hartes Auf-und-Ab. Erinnerungen werden wach an die Kälte des letzte Jahres als ich hier nur allzugerne Handschuhe angezogen hätte. Heute haben ich eher ein Wärmeabfuhrproblem.

In Pattendorf erhalte ich dann doch noch eine Übernachtungsmöglichkeit. Ich habe voll auf meinen Pilgerführer vertraut und bin nicht enttäuscht worden. Eine betagte 90-jährige Dame nimmt mich Wildfremden und noch drei andere wie selbstverständlich in ihrem Bauernhaus auf. Wir können uns duschen, erhalten ein ausgiebiges Abendessen und ein sauberes Bett. Und natürlich ein Frühstück am nächsten Tag! Und alles will man uns so recht wie nur möglich machen. Das Vertrauen, das die Gastgeber in meine Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit setzen, ist vielleicht das Wertvollste, das ich an diesem Tage erleben durfte: es gibt doch auch etwas Gutes im Menschen.

Von Riedenburg bis Altmannstein

(Riedenburg/Altmannstein, Samstag, 01.01.2011)

Von Riedenburg nach Altmannstein führt meine erste Etappe auf dem Weg zum Finis Terre.

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Dorthin sind es grob geschätzt 2000 km. Bei 25 km pro Tag wird man also 80 Tage benötigen. (Nachtrag: eher sind es 3000 km und 100 Tage)

Das geographische Ende will ich natürlich vor meinem biologischen Ende erreichen. Laut dem Rechner einer Versicherungsgesellschaft beträgt meine Lebenserwartung zur Zeit noch 35 Jahre. Da das Ziel nur per pedes erreicht werden darf, und deshalb ein Minimum an köperlicher Belastbarkeit möglich sein muß, scheinen die nächsten 20 Jahre für die Durchführung mit dem Abschluß in 2030 realistisch.

Pro Jahr müssen also vier Tage eingeplant werden. Als Sicherheitszuschlag wird ein zusätzlicher Tag gewährt. Fünf Tage im Jahr ist mir das Erreichen des Ziels auch in Anbetracht anderweitger Verpflichtungen schon wert.

Zweckmäßigerweise beginnt eine Reise an das Ende der Welt am Ort eines Anfangs. In Ermangelung eines Besseren soll dies der Ort sein, an dem ich auf diese Welt kam: dem ehemaligen Riedenburger Kreiskrankenhaus und jetzigem Kurhaus.

Hinter den Mauern im ersten Stock befand sich der Kreissaal. Früher war da auch noch ein Fenster, von dem zum Beispiel die Hebamme uns auf der Straße wartenden Kindern mitteilte, dass wir ein „neues Brüderlein“ hätten. Spurlos verschwunden!

Durch Riedenburg geht es über den tiefverschneiten alten Bahndamm nach Altmannstein.

Rosenburg

Der viele Schnee macht nicht nur den an sich leichten Weg zu einer Strapaze, sondern auch die gewohnten Wahrzeichen zu einem besonderen Anblick.

Schambach
Hexenagger
Altmannstein

Von Altmannstein geht es in den nächsten Tagen weiter auf dem Ostbayerischen Jakobsweg nach Donauwörth.