Von Pattendorf bis Niedertaufkirchen

Nach einer guten Nacht verabschiede ich mich herzlich von meinen Gastgebern und werde zur Pattendorfer Kirche (mit Einsturz gefährdetem Turm) gefahren. Dort ist der Aufgalopp zur ersten Etappe des zweiten Tages nach Türkenfeld.

Download GPX

Bis dahin hat es aber noch Zeit. Denn zunächst ist Pilgermesse. In solchen Fällen benutze ich den äußersten rechten Platz in der letzten Reihe auf der rechten Seite um vollständig aufzuwachen. Dieser liegt meist etwas dunkler unter der Empore.

Fast den gleichen Zulauf wie die Messe hat die Ambulanz im Sanitätskraftwagen. Dort kann man sich live über den State- Of-t he-Art der mobilen Blasenversorgung informieren und manchen Blick auf schön getapten Frauenzehen werfen.

Über Rottenburg geht es dann nach Türkenfeld. Noch ehe richtiges Wallfahrtfeeling aufkommt sitzt man dort in einem Bus, der einem an Landshut vorbei nach Vilsbiburg bringt.

Der freie Marsch vom dortigen Sportzentrum über den italienisch anmutenden Stadplatz zum Ausgangspunkt der zweiten Etappe auf dem gegenüberliegenden Mariahilfberg wird zum kulinarischen Ereignis. Die erste Metzgerei mit Warmtheke liefert ein paniertes Schnitzel mit Kartoffelsalat sowie zwei Apfelschorle und ein Coke Zero. Bei der Bäckerei ein paar Meter weiter gibt es eine Quarktasche mit einen Cappuccino. Den Abschluss bilden drei Kugeln Eis Schokolade, Zitrone und Joghurt aus der folgenden Eisdiele.

Auf dem Mariahilfberg angekommen suche ich mir ein lauschiges Plätzchen auf der großen Rasenfläche, gönne meinen Füßen die frische Luft, und döse dann vor mich hin. Heuer wird mich kein Wallfahrtwächter in die Andacht bringen!

Gegen Mittag brechen wir zu zweiten Etappe des Tages über Egglkofen und Neumarkt St.Veit nach Niedertaufkirchen auf.

Download GPX

Es ist heiß geworden und ich beschließe in einem Waldstück auf kurze Hosen umzusteigen. Der Zug geht dabei ein ganzes Stück weiter. Es ist aber kein Problem, ihn wieder einzuholen. Zwar kann ich jetzt den Schutz der Versicherung nicht mehr genießen, dafür zumindest auf einer kurze Strecke das Gehen im eigenen Rhythmus.

In Egglkofen ist dann wieder Pause. Beim besten Willen komme ich wieder nicht an einer Leberkässemmel vorbei. Ein Liter Apfelschorle und ein halber Liter Wasser werden direkt zugeführt, die gleiche Menge als Vorrat mitgenommen.

Letztes Jahr ging es auf der B299 inmitten von Tanklastzügen nach Neumarkt. Heuer geht es über die Kuppen im Hinterland dorthin. Nach Neumarkt geht es gar auf eine Cross-Strecke bis zum Tagesziel nach Niedertaufkirchen.

Von dort erfolgt dann der Bustransfer zum Theo. Der Theo mit seinem Matratzenlager ist ein wichtiger Baustein der Übernachtungslogistik. Dass er seinen Pachtvertrag kündigte, war heute für viele das Thema. Im Nachhinein bin ich froh nicht bei ihm, sondern bei einer netten benachbarten Familie in einem Zimmer untergekommen zu sein, das ich nur mit einer anderen Person zu teilen brauche.

Trotzdem ließ ich es mir zum Abschluss des Tages nicht nehmen, das Lager zu inspizieren. Das Konzept ist einfach. Man nehme Matratzen woher auch immer und verteile diese lückenlos über den Tanzsaal, sämtliche Gänge und Abstellräume. Sogar in Kälberboxen soll schon geschlafen worden sein! Die Waschräume falls überhaupt vorhanden habe ich mir danach erspart.

Einen guten Wurstsalat hat der Theo aber allemal!

Von Riedenburg bis Pattendorf

Dem Faltblatt der Riedenburger Fusswallfahrer nach ist der Weg über Buch, Gut Schwaben, Weltenburg, Arnhofen und Rohr nach Pattendorf am ersten Tag der Wallfahrt mehr als 47 km. Ich bin gut vorbereitet und werde mit diesem Pensum einen persönlichen Tagesrekord aufstellen. Ich bilde mir darauf nicht unbedingt etwas ein, weil fast alle der nahezu 800 Teilnehmer(innen) ebenfalls ankommen werden. Fast schäme ich mich, ohne größere Plagen über die Runden zu kommen. Denn Wallfahren ohne Schmerzen kann jeder. Ich ziehe den Hut vor der Unvernunft all derer, die nach Altötting ohne Vorbereitung müssen, ihre zu erwartende Leiden bewusst in Kauf nehmen und aufgrund welcher Kraft auch immer überwinden. Mir ist das ein Rätsel.

Download GPX

Es geht angenehm locker zu in Riedenburg an diesem frühen Donnerstagmorgen vor Pfingsten. Die Geschlechtertrennung ist aufgehoben: Frau und Mann beten miteinander und nebeneinander und nicht hintereinander. Kurze Hosen sind selbstverständlich. Selbst ein die knackigen Hinterbacken betonendes Triathlonoutfit mit hautengem Achselshirt und genügend Lücken zur freien Sicht auf eine nicht unbedingt katholische Vollkörpertätowierung regt keinen auf: ich hätte dieses Kostüm eher auf der Loveparade erwartet.

Die einzige immer wieder gestellte Forderung ist die Dreierreihe. Die Dreierreihe ist nach Gegrüßet seist Du Maria …,Vater unser im Himmel … und Erbarme Dich … mit die meistbenutzte Phrase. Sie wird mich/uns bis zum Ende begleiten.

Das Gezwitscher der Vögel beim Aufstieg durch den Zauberwald auf den Lintlberg am mahnenden Frauenstein vorbei, die belohnend weite Aussicht dort in Gottes freier Natur ohne störenden Autolärm und Besiedlung, all die Menschen mit dem spürbar guten Willen machen schnell die unbeantworteten Fragen und ungelösten Probleme von gestern unwichtig. Schon jetzt bin ich froh mitgegangen zu sein. Meine Auszeit hat begonnen. Nur das Döner Kebab, das ich gestern Abend noch schnell am Münchener Hauptbahnhof eingenommen habe, steckt unangenehm drückend irgendwo in den Eingeweiden fest.

Bei optimalen Wander- bzw Wallfahrtwetter legt das Führungskreuz eine überraschend schnelle Pace vor. Trotzdem kommt von meinen Füßen eine wohlige Rückmeldung. Sie scheinen froh wieder in den bewährten Stiefeln zu stecken und sich einmal wieder so richtig ausgehen zu können. Nichts drückt! Damit sind schon die größten Probleme ausgeschlossen.

Unerwartet schnell erreichen wir unsere erste Pausenstation Stausacker. Schon aus weiter Ferne verkündet lautes Geläute die Ankunft wie schon in Buch zuvor und in allen weiteren Etappenorte sofern deren Türme nicht durch Einsturz gefährdet sind.

Nach einem Weißwurstfrühstück studiere ich Wallfahrtstechnologie in Form eines mobilen Lautsprechers und der Donaufähre Stausacker.

Immer wieder treffe ich Bekannte, die ich teilweise Jahrzehnte nicht mehr gesehen habe. Der Tenor ist fast immer der gleiche: „Gerade Dich hätte ich hier nicht erwartet.“ Ich habe ein Imageproblem.

Nach der Mittagspause in Offenstetten heißen kurz vor Rohr die legendären Frommen Kinder, die nun schön langsam dem Kindesalter entwachsen, die Pilger in der Hoffnung auf einen kleinen Obolus willkommen.

Das Ankommen in Rohr vor einem Jahr mündete unbefriedigend direkt in einem Meier-Bus, der drei Minuten später nach Hemau abfuhr. Diesmal ziehen wir feierlich in die Kirche ein. Der neue Abt Markus lässt es sich nicht nehmen, die Pilger persönlich am Portal zu empfangen. In der nachfolgenden Begrüßungsrede zeigt er sich mindestens so tief über den Zug beeindruckt wie ich mich einmal mehr über den Asam-Altar. Diesmal bin ich richtig angekommen!

Der Weg nach Pattendorf ist dann nochmals ein hartes Auf-und-Ab. Erinnerungen werden wach an die Kälte des letzte Jahres als ich hier nur allzugerne Handschuhe angezogen hätte. Heute haben ich eher ein Wärmeabfuhrproblem.

In Pattendorf erhalte ich dann doch noch eine Übernachtungsmöglichkeit. Ich habe voll auf meinen Pilgerführer vertraut und bin nicht enttäuscht worden. Eine betagte 90-jährige Dame nimmt mich Wildfremden und noch drei andere wie selbstverständlich in ihrem Bauernhaus auf. Wir können uns duschen, erhalten ein ausgiebiges Abendessen und ein sauberes Bett. Und natürlich ein Frühstück am nächsten Tag! Und alles will man uns so recht wie nur möglich machen. Das Vertrauen, das die Gastgeber in meine Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit setzen, ist vielleicht das Wertvollste, das ich an diesem Tage erleben durfte: es gibt doch auch etwas Gutes im Menschen.