Von Nasbinals bis Saint-Chély-d’Aubrac

(Nasbinals/Saint-Chély-d’Aubrac, Freitag, 23.06.2017)

Die Nacht verbrachten wir diesmal einfach auf dem nahen Parkplatz in Mitten einiger anderer Campingvans. Es ist ein Phänomen: bei Übernachten auf freien Plätzen bilden sie instinktiv eine Art Schutzburg wie in archaischen Zeiten gegen das Eindringen wilder Tiere.

Unser Freund aus Neckarsulm, der, statt mit ihm zu fahren, sein Fahrrad meistens auf dem Jakobsweg schiebt, kommt leider zum Frühstück zu spät. Ohne Zelt hat der Low-Cost-Pilger die Nacht im Waschraum des  hiesigen Campingplatzes verbracht, und muss jetzt ins Dorf, um sich zu versorgen. So bin ich heute einmal nicht der zu letzt Aufbrechende.

Die heutige Etappe nach St.Chely verspricht angenehm kurz zu werden. Nur der finale Abstieg von Aubrac wird das  schmerzhaft das Platzen der Oberschenkel androhen.

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Freilich geht es zunächst einmal aufwärts auf eine weite Alm. Kühe sind zwar nicht zu sehen, dafür aber sitzt Gil mehr schlafend als wach am Stamm einer alleinstehenden Eiche im Gras bewegungslos wie Faultiere sonst im Baum hängen. Ich habe ihm schon mehrmals gesehen und werde ihn noch mehrmals sehen, aber immer in der gleichen Haltung. Nie in Bewegung!

Die Höhe vor Aubrac ist eine Wetterscheide. Ist es diesseits des Passes noch wolkenlos, geht es jenseits durch eine Dunstschicht entlang der Zeichen  eines im Winter zum Skifahren benutzten Hanges hinab in das Kloster.

Seiner Mauern ähneln denen des Klosters im Film Namen der Rose!  Zur totalen Illusion fehlen nur noch die Inquisitoren. Was mag sich hier an diesem jetzt so abgelegenen Ort in alten Zeiten würdiges und unwürdiges abgespielt haben?

Der fantastische Sound eines Credo gesungen in französischer Sprache lockt mich in die Kirche. Die Teilnehmer eines Pfarrausflugs halten hier offensichtlich die obligatorische Messe. Französisch und Liturgie passen offensichtlich gut zusammen.

Leider muß ich diese Meinung schon beim nächsten  Lied revidieren: niemand kennt den Text richtig, einmal singt die linke Seite, dann die rechte, dann keine. Das Ende erlebe ich nicht mehr.

Da wird die Skulptur eines Aubrac-Kuh schon viel harmonischer auf dem Rastplatz davor.

Aubrac ist ein vielbesuchter Ausflugsort mit einigen Restaurants der gehobenen Klasse im kleinen aber feinen Zentrum. An einem Tisch sitzt Gil! Nicht ganz bewegungslos. Er ißt Suppe,und  führt stetig langsam den Löffel vom Teller zum Mund und nach einer kurzen Pause vom Mund zum Teller. Wahrscheinlich Bouillon vom Aubrac-Rind!

Wie dann ein Aubrac-Bulle aussieht, sehe ich beim Abstieg ins Tal. Wegen seiner Hörner und seiner schwarzen Flecken im Fell bezweifle ich aber seine Reinrassigkeit. Genetisch optimiert für mehr Marmorisierung und damit Geschmack im Lendensteak?

Um einen alten Vulkan und durch seine erkalteten Lavaströme steige ich steil ab nach St.Chely. Unten angekommen ist nun nicht nur der linke Kleine Zehen blau , sondern auch die beiden Großen.

Auf dem Campingplatz komme ich aus der Dusche. Dort sitzt Gil an einem Kastanienbaum gelehnt. Bewegungslos! Und er sitzt und sitzt über Stunden!

Auch ich sitze! Ich hänge in meinem Campingstuhl. Es gibt nichts schöneres als Sitzen, wenn man lange gegangen ist.

Von Aumont-Aurac bis Nasbinals

(Aumont-Aurac/Nasbinals, Donnerstag, 22.06.2017)

Von Aumont-Aurac haben wir nicht viel mitbekommen. Nach der gestrigen Ankunft geht es gleich auf den etwas außerhalb gelegenen Campingplatz. Wie üblich ist Personal nur zu bestimmten Zeiten zum Kassieren anwesend. Zum Öffnen der Schranke soll hier eine Telefonnummer angerufen werden. Bei einem leichten Druck von  unten auf den Balken öffnet sie sich aber doch wie durch Geisterhand. Wir verzichten auf den Anruf und das folgende Sprachgewirr und fahren auf den Campingplatz. Wenn sich einer aufregt dann „Nichts verstehen!“. Aber es wird sich keiner aufregen, da in Frankreich alles erlaubt ist, was nicht ausdrücklich verboten ist.

Während ich den Strom anschließe, fängt es zu schütten an. In wenigen Sekunden bin ich patschnass. Hagelkörner krachen auf das Dach. In wenigen Minuten steht der halbe Campingplatz unter Wasser. In leicht abgemilderter Form geht das einige Zeit so weiter. Platzregen im Campingvan ist sehr kurzweilig. Aber der Besuch in Aumont fällt flach.

Mittlerweile habe ich einen blauen linken Kleinzehennagel vom Druck beim Abwärtsgehen. Blaue Zehennägel sind für mich kein Problem. In den nächsten drei Monaten wird ein neuer den alten herausschieben, und an Weihnachten wird er vollständig  die Zehe zieren. Falls er nicht vorher wieder blau wird.

Bevor ich nach Nasbinals gehe, muss ich sie allerdings tapen, um den Nagel zu fixieren und unnötige Reizungen zu vermeiden.

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Ich lasse mich im Zentrum von Aumont absetzen und gehe los. Nach Unterquerung der A75 nur noch Ackerbau und Viehzucht! Später nur noch Viehzucht!

Kurz vor Lasbros steht mitten in einer Kreuzung eine Kapelle. Ich spendiere zwei Euro für eine Opferkerze und wünsche mir, dass alles so bleibt wie es ist.

Die Kombination  älterer Mann/jüngere Frau von gestern rastet schon in der einzigen Bar in Lasbros. Dahinter  werde ich bis Rieutort d’Aubrac  die nächsten Kilometer niemanden mehr sehen. Und auf der Hochebene kann man sehr, sehr weit sehen.

Aber nur Rinder und kreisende Greifvögel (noch keine Geier)! Generell sieht man auf dem Jakobsweg mehr Rindviecher als Menschen! Und auch viele Greifvögel!

Eau Potable soll es in Finieyols geben. Ich habe deshalb bewusst nur eine Flasche Wasser mitgenommen. Die zwei einladenden Bars sind geschlossen. Trinkwasser wird zwar zum Spülen des öffentlichen Stehklosetts verwendet. Der Brunnen ist aber trocken. Den entsprechenden Anschluss abzuklemmen, ist mir dann doch zu aufwendig. Ich brauche aber Wasser, und so muss ich das Eau Non Potable riskieren.

Ich komme immer höher. Die Hinkelsteine häufen sich. Abgetragene Gebirge und verwitterte Vulkane! Wie alt muss dieser Landstrich hier sein!

Von ganz oben ist dann doch schon Rieutort d’Aubrac am Horizont sichtbar. Dort sollte der Van auf einem Campingplatz stehen. Das verleiht neue Kräfte.

In Rieutort d’Aubrac ist zwar kein Campingplatz. Dafür aber eine schattige Raststelle mit Trinkwasser. Grund genug für einen Volksauflauf! Und wieder stellt sich die Frage: Wo kommen die plötzlich alle her?

Um die Ecke steht der Van. Die Fahrerin ist in einer lebhaften Unterhaltung mit einer Gruppe von Wanderern. Man kennt sich!

Da ist der Thomas und die Vroni aus Stamham, die Mittags immer Stunden schlafen, weil die Vroni mehr Kalorien verbraucht als sie zuführen kann. Da ist Jens, der Gourmet, der französische Speisekarten entziffern kann, von Hamburg nach Toulouse umgezogen ist, und von dessen Stiefeln sich die Sohlen gelöst haben.

Und sie sehen jetzt zum ersten Mal den sagenhaften Josef mit dem Campingbus und dem kleinen Rucksack, den noch keiner gesehen hat, aber von dem alle wissen, dass es ihn geben muss. Ein Mythos ist gebrochen!

Aller Illusionen beraubt ziehen sie bald weiter. Und ich folge ihnen weniger später frisch aufgetankt nach Nasbinals in einem wirklich flotten Schritt. Wenn’s läuft, dann läuft’s.

In Nasbinals gehe ich erst einmal zum Ankommen in die schöne Kirche der Heiligen Maria. Ein Bißchen Besinnung! Dann geht es hinter die Kirche in eine Bar, in der schon meine Gattin bei einer Tasse Kaffee sitzt. Ich trinke aber keinen Kaffee, sondern ein kühles Bier aus einer Art Pokal. Allein der erste Schluck ist die Anstrengungen des ganzen Tages wert.

Dann taucht aus heiterem Himmel Saundrine auf und gibt das versprochene Bier aus. Nur sie hat keine Zeit und muss noch irgendetwas erledigen. Die Schnittmenge der gemeinsamen Sprachkenntnisse erlaubt nicht mehr als einander Vorbeigeplappere.

Dann tauchen Thomas und Vroni auf, denen nun ich ein Bier ausgebe oder vielleicht auch zwei …

… dann wird es langsam dunkel, und wir gehen zu unseren Schlafplätzen.