Von Moissac von Auvillar

(Moissac/Auvillar, Samstag, 09.06.2018)

Bevor es nach Auvillar weitergeht steht eine Stadtbesichtigung von Moissac mit seiner Kathedrale und ihrem Portal an..

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Der Einmarsch von Osten auf einer vielbefahrenen Straße durch eine Art Industriegebiet war gestern nicht so spektakulär. Auf jedem Fall konnte mich nichts und niemand motivieren meinem Campingstuhl zu verlassen. Dabei musste ich nur über einen Damm gehen und schon hätte sich der Kanal der zwei Meere geoffenbart. Mit einem dieser Schiffchen vom Mittelmeer zum Atlantik zu tuckern, kann ich mir sehr sehr gut vorstellen.

Auf dem Markt gibt es auch wieder Kirschen, das Kilo für fünf Euro. Kein Vergleich zu denen von gestern!

Die Kathedrale taucht im Hintergrund auf und der erste Anblick des Portal trifft einen wie ein Blitz aus heiterem Himmel! Schon aus der Ferne bombastisch! Was erst, wenn man dort ist!

Das Jüngste Gericht! Was da alles noch auf einem zukommen wird! Hoffnungslos! Genießen wir die Gegenwart! Geben wir das Geld gleich aus, wenn wir es haben. Dann kann einem der Säckel nicht für alle Ewigkeit um den Hals gehängt werden.

Ich brauche aber gar nicht auf den Jüngsten Tag zu warten: ich erlebe meine private Hölle auf dem Panoramaweg für den ich mich bei L’Espagnette entscheide.

Zunächst ärgere ich mich nur wiedereinmal über den zu erwartenden Umweg: statt auf der Teerstraße wie im Führer beschrieben zu bleiben, folge ich der offiziellen Ausschilderung über einen Feldweg.

Dann ärgere ich mich über meine Dummheit, nicht wie das Pärchen hinter mir nach dieser Erkenntnis umgekehrt zu sein und die Straße zu benutzen. Insbesondere als der Feldweg aufgrund der Regenfälle der letzten Tage auch noch zu einem grundlosen morastigen Bachbett ohne schöne Ausblicke mutiert.

Über das feuchte Gewalke in den Schuhen und das Eindringen von Steinchen fängt meine linke große Zehe dann auch noch fürchterlich zu zwicken an.

Ich habe nach kaum einer Stunde die Schnauze voll! Da braucht es erst einmal eine Pause! Dort verbrauche ich fast meine zwei Liter Apfelschorle ohne Aussicht diese wieder auffüllen zu können. Aber immerhin ist mein Rucksack fast leer.

Als ich nach einem Auf-und-Ab in Boudou ankomme, werden die Schmerzen in der großen Zehe unerträglich. Der nahe Aussichtspunkt mit der grandiosen Aussicht interessiert mich überhaupt nicht. Ich beschließe das Pflaster um die großen Zehe zu inspizieren: tatsächlich es hat sich aufgerollt und drückt wie ein kantiger Keil mit dem jedem Schritt tief in die Haut.

Dort hat sich auch schon eine Blase gebildet. Pflaster entfernen, Blase aufstechen! Als ich den Schuh wieder anziehe, ist tatsächlich eine leichte Linderung zu spüren.

Am Busparkplatz des Aussichtspunktes gibt es dann auch noch Wasser. Das reicht bis Auvillar.

In nicht trinkbarerer Form gab es das auch auf dem abfallenden Feldweg in den letzten Tagen in Hülle und Fülle. Ein einziger Sumpf! Nicht nur Köcheltief, sonder Knietief! Nicht mehr durch Gehen, sondern nur durch Springen zu bewältigen! Ständige Furcht, der Schlamm zieht die Schuhe aus

Kaum unten geht es wieder nach oben! Immer noch keine Aussicht! Dafür geht es gleich wieder nach unten. Gleiches Szenario wie vorher!

In Malause hat das ganze dann ein Ende. Ich lege mich unter einem Nussbaum am Ortseingang und schlafe ersteinmal zwar kurz aber tief! Irgendwie erfrischend!

Überraschend kommt jetzt erst das Pärchen, das beim ersten Aufstieg umgekehrt ist. Spanier! Kommentar auf English: „A real hard day!“

Aber Wunder gibt es immer wieder! In der kurzen Pause habe ich mich gut erholt! Selbst die Zehe drückt nicht mehr.

Am Kanal geht es nun unter schattigen Bäumen auf den festen Treidelwegen gut voran. Schon eine ganz besondere Atmosphäre.

Dann noch einmal vier Kilometer von der rechten Seite des Tal flach hinüber zur linken mit der Überquerung der Garonne und der Aussicht auf ein Kernkraftwerk.. Freilich darf einen saftiger Aufstieg nach Auvillar nicht fehlen.

Bei der Ankunft stellt sich dann doch wieder diese großen Zufriedenheit ein. Wieder eine Menge erlebt. Vor allem auch sich selber!

Mit Aussicht!

Von Lauzerte bis Moissac

(Lauzerte/Moissac, Freitag, 08.06.2018)

Ich verlasse das hochgelegene romantische Lauzerte durch die engen Gassen nach Süden talabwärts mit Ziel Moissac immer wieder zurückblickend, denn die exponierte Lage präsentiert sich schon sehr eindrucksvoll. Ein Bißchen Wehmut ist bei diesen Abschieden immer dabei, denn wahrscheinlich ist es einer für immer. Den Anblick werde ich nur aus meinen Erinnerungen abrufen können, denn leider hat mein Handy nicht genügend Saft, noch Fotos zu machen.

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Obstbäume in der Talsohle erinnern mich daran, dass ich immer noch keine Kirschen gegessen habe. Es ist guter Brauch, mich zumindest dreimal im Jahr zur Reifezeit mit ihnen vollzuschlage. Gestern hatte ich beinahe eine Gelegenheit, aber der riesengroße Kirschhain war durch einen Elektrozaun gesichert. Auf der anderen Seite war das ganz gut, denn sonst wäre ich beim Leeren eines Baumes wahrscheinlich mit dem Besitzer aneinandergeraten, dessen Anwesenheit ich erst später feststellte. Mein Hirn projiziert seitdem immer wieder die roten Früchte vor meine Augen. Heute muss es sein!

Gestern haben wir nach der Ankunft auf dem Marktplatz in Lauzerte Bernadette und Konrad getroffen. Und bei einem schönen kühlen Bier empfahl sie, wenn ich mir etwas ganz stark wünsche, solle ich beten. Freilich in einem ganz anderem Zusammenhang. Nun frage ich mich, ob es nicht eine Lästerung ist, den lieben Gott wer, wo, wie, wann, was er auch sein mag, mit Kirschproblemen zu beschäftigen. Es ist schon merkwürdig, was einem so manchmal durch den Kopf geht.

Noch merkwürdiger ist es, dass ich nach vier bis fünf Kilometern auf dem Bergrücken angekommen um eine Ecke aus dem Wald trete und tatsächlich wieder ein großer Kirschhain vor mir liegt. Soll ich versucht werden, von verbotenen Früchten zu essen?

Nein! Denn noch merkwürdiger ist, dass unter einer schattigen Eiche am Rande gerade jetzt ein Tisch mit Kisten voller geernteter Früchten aufgestellt ist. Ein Schild fordert zur Selbstbedienung auf, was ich natürlich tue. Freilich steht auch eine Kasse für eine Spende da, die ich gerne in Höhe der Marktpreise von Cahors gebe. So muss ich nicht einmal zum Sünder werden.

Kurz vor Durfort fliegt dann eine Mirage im Tiefstflug über meinen Kopf. Vor den Dingern habe ich keine Angst und sehe keine Bedrohung, sondern schätze mich glücklich, diese Maschine aus der Entfernung eines Steinwurfs in dieser Fluglage direkt über mir zu sehen.

Nach Auffüllen der Trinkvorräte geht es strammen Schrittes weiter. Ein paar Kollegen wollen sich glatt ein Rennen liefern. Schon irgendwie lustig, wenn fünf Übersechzigjährige wie kleine Kinder um die Wette gehen. Diese enden in der Regel durch taktische Vortäuschung von Toilettenbesuchen bei Eintreten von Müdigkeit. Ich musste nicht.

Ein paar Kilometer auf dem Höhenrücken vor Moissac entscheidet sich ein Hirnteil besonders langsam zu gehen, um die Ankunft intensiver zu genießen. Ein anderer Hirnteil empfindet das als ein Aufforderung zu schlafen: obwohl ich gehe, muss ich mich zwingen, die Augen offen zu halten. Langsam sinkt die Müdigkeit vom Kopf in die Füße. Erst der Anblick des Campingvans am Ortsrand erweckt mich aus der Lethargie.