Von Castet-Arrouy bis La-Romieu

(Castet-Arrouy/La-Romieu, Mittwoch, 03.07.2019)

Nach einem Jahr kehre ich nach Castet-Arrouy zurück und setze meinen Weg auf der Via Podiensis fort.

Als ich frisch geladene Batterien in mein Garmin einlege, finden sich noch Reste  getrockneten Dreckes unter  der Abdeckung. Die Überbleibsel vom vergangenen Jahr scheinen der Funktion nicht zu schaden. In jedem Fall ist heuer von Schlamm weit und breit nichts zu sehen. Der lehmige Boden ist in der Hitze der vergangenen Tage knallhart getrocknet. Ausrutschen scheint unmöglich. So mache ich mich forschen Schrittes auf den Weg zum angedachten Etappenziel Marsolan, werde letzten Endes aber in La Romieu landen.

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Seit dem letzten Jahr habe ich eher ausgedehnte Spaziergänge als richtige Wanderungen unternommen. Allerdings habe ich auch einen halben Zentner abgenommen. Dies scheint durchaus eine brauchbare Alternative zu ausgedehnten Trainingsmärschen. Auf jeden Fall fühle ich mich super. Trotz der Hitze!

astet Arrouy Abmarsch
Castet-Arrouy – Abmarsch

Die Silhouette mit der Kathedrale von Lecture taucht bald am Horizont aus. Irgendwie bewege ich mich nicht direkt auf den Ort zu, sondern in einem Bogen. Ja, ich weiß aus den vergangen Jahren: kurze Wege haben auf den Jakobsweg keine Priorität. Noch ärgert mich das nicht!

Da ärgert mich schon vielmehr, dass mein Handy nur verrauschte Bilder liefert. Der harte Aufprall auf die Teerstraße hat also doch negative Auswirkungen auf das Optiksystem. Das lässt meinen Vorsatz, mehr Bilder zu machen, schon im Keim ersticken.

In Lecture treffe ich dann den ersten Pilgerkollegen total erschöpft auf einer Bank vor der Kathedrale sitzend. Angetan mit Hose und Jacke, die sich für eine Alaskaexpedition eignen. Später erfahre ich, dass er einen 30 kg schweren Rucksack mit Zelt, Schlafsack und Hängematte schleppt. „Der macht es nicht mehr lang!“, denke ich. Falsch! in den nächsten Tagen werde ich ihn immer wieder treffen.

Ich schlendere langsam durch den schmucken aufstrebenden Badeort. Vor dem Tophotel nehme ich auf einer Parkbank ein Stück Salami mit Walnüssen gemäß den neuesten ernährungsphysiologischen Erkenntnissen zu mir.

Und schon geht es in der Mittagshitze weiter nach Marsolan! Wieder sehe ich den Kollegen von der Kathedrale müde unter dem Schatten eines Baumes liegend. Etwas weiter ein weibliches Gegenstück in einer ähnlichen Verfassung!

Vor Marsolan kommt mir meine Frau entgegen. Ich erhalte ein kurze Führung durch die fünf Häuser mit Kirche in der Ortschaft. Dann ziehen wir uns in unser Auto unter einem schattigen Baum beim Friedhof mit Trinkwasser zurück.

Das ist es eigentlich für heute gewesen. Ich fühle mich aber so gut, dass ich durchaus die zehn Kilometer nach La Romieu noch in Angriff neben kann. Also Trinkvorräte aufgefüllt und weiter geht es!

Auf dem Jakobsweg gilt: der Bogen ist die Verbindung zwischen zwei Orten. So geht man von Marsolan nach La Romieu schon ein ganzes Stück extra bis endlich nach Obstplantagen die eindrucksvolle Kathedrale gegenwärtig wird. Wohldem, der sich ein solches Gebäude hinstellen kann, um die Zeit bis zum Jüngsten Tag in einem angemessenen Ambiente zu verbringen.

La Romieu -Parken vor der Kathedrale

Wir verbringen eine zumindest Nacht davor.

Von Auvillar bis Castet-Arrouy

(Auvillar/Castet-Arrouy, Sonntag, 10.06.2018)

Keine ruhige Nacht! Erfüllt vom Donnerhall! Keine dunkle Nacht heute! Taghell erleuchtet von blauen weißen Blitzen! Gute Fernsicht über das Tal der Garonne! Und Wasser! Viel viel Wasser! Frankenstein lässt grüßen! Unser Mobil steht sicher wie ein Schiff auf dem Parkplatz von Auvillar, wo der Wind das Wasser in Knie hohen Wellen anpeitscht.

Am Morgen ist wieder alles ruhig! Die Ruhe nach dem Sturm! Es liegen etwas Laub und abgebrochen Äste herum! Erst auf dem Weg nach Castet-Arrouy wird der angerichtete Schaden ersichtlich.

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Am Anfang gehe ich auf Teerstraßen und komme gut voran. Hi und da läuft etwas Wasser über die Straße! Aber nichts Besonderes! Nach Bardigues geht es den kleinen Hang nach St.Antoine hinunter. Der Weg ist ziemlich ausgeschwemmt und dient inzwischen als Bachbett. Der eigentliche Bach unten im Tal ist zu einem Fluss angeschwollen, dessen Wassermassen fast bis zu den Fenstern der dortigen Mühle reichen. Der gelbe Schlauch im Garten davor ist ungenutzt. Heute entfällt das Gießen!

Vor St.Antoine ist Erdreich auf die Straße gespült. Total verdreckte Orientierungsläufer kommen erschöpft von einem Berg herunter. Ich lasse es mir nicht nehmen, ihnen in die Zielgasse zu folgen und die Ziellinie zu überqueren. Die Zeitnehmer haben damit kein Problem. Einen der ausgestellten Pokale bekomme allerdings auch nicht.

Der Besuch in der dunklen Kirche ist wie eine Zeitreise ins Mittelalter. Beim Verlassen und Rückkehr in die Gegenwart treffe ich zum letzten Mal Matthias, für den ich vom Metzgersohn zum Metzger mutiert bin und den ein „Metzger auf dem Jakobsweg“ verwundert.

Bevor ich nach Flamarens steil hochgehen darf, quere ich ein Tal mit einem Graben, der heute zum Bach angeschwollen ist. Kein Steg und keine Brücke! Da heißt es: einfach durch! Das Wasser ist gar nicht soo kalt!

Nach der Mittagspause geht es wieder auf der Straße weiter. Der parallel geführte Fußweg ist total verschlammt und nicht benutzbar. Die Erde wurde aus der Höhe der Hangfelder gespült und sammelte sich unten in Sumpfmulden. Manchmal liegt die Straße tiefer und dann ist der ganze Dreck dort. Unpassierbar! Allein die Bauern verschaffen sich in einer Mischung aus Schrecken und Gelassenheit einen ersten Überblick! Und die Pilger sind natürlich nicht zu bremsen!

Es ist weise, unter diesen Bedingungen auf der Straße zu bleiben. Nur ein Narr oder unverbesserlicher Optimist wird sich auf die unbefestigten Wege entlang der Felder wagen. An diesem Tag gibt es genau zwei. Einer bin ich. Von dem anderen sehe ich die Spuren, insbesondere die Mulden, die der Körper nach Ausrutschern in den Morast drückt. Aber der Umweg auf der Straße ist mir zu weit. Umwege mache ich nicht mehr.

So gehe ich beim Chateau Gachepouy in die Botanik. Beim Aufstieg ist noch alles gut! Oben zeigt sich dann die Katastrophe: Die Krumme eines ganzen Feldes ist auf einer Breite von mindestens fünf Fußballfeldern auf den Jakobsweg hinunter gespült. Da versinke ich bis zu den Unterschenkeln im Dreck. Hie und da gibt es Inseln aus Grasbüscheln, die dank des gestrigen Trainings auch meistens erreiche, aber nicht immer. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis ich flach liege.

Und dann ist es soweit: ich verliere das Gleichgewicht, will mich mit der rechten Hand nicht abstützen, um mein GPS nicht zu gefährden, und lande mit dem Bauch voraus
bis zum Kinn im Schlamm. Beim Suchen nach Halt, wälze ich mich dazu noch nach links und rechts. Das GPS leidet dann doch noch. Um wieder auf die Beine zu kommen, muss es in der rechten Hand in den Schmutz. Da steh ich nun ich armer Torr! Wie komme ich hier wieder raus?

Einfach mal weiter? Hoffnungslos! Der Point-Of-Return ist längst überschritten. Ich sehe mich schon an der Winde eines Hubschraubers. Da kommt der rettende Gedanke: ich muss in das Feld! Da die haltlose Krumme herausgespült ist, muss man da ja festen Boden unter den Füßen haben. Fest ist übertrieben! Aber ich komme nun doch im Slalom durch Sonnenblumenpflänzchen mit freiliegenden Wurzel voran.

Am vereinbarten Treffpunkt am Friedhof von Castet-Arrouy befindet sich eine Wasserleitung zur zeitaufwendigen Körper- und Materialreinigung. Nach Lecture gehe ich nicht mehr: eine Nationalstraße oder als Alternative ein Feldweg haben heute keinen Reiz mehr.

Weitere Regenfälle in der Nacht führen zum Entschluss hier nächstes Jahr weiterzumachen, wenn hoffentlich die Feldwege wieder trocken sind. Auf nach Toulouse zur abschließenden Stadtbesichtigung!