Von Cahors bis Lascabanes

(Cahors/Lascabanes, Mittwoch, 06.06.2018)

Die Nacht verbringen wir im Campingplatz von Cahors zum Auffüllen von Wasser und Aufladen der Batterien. Wieder schüttete es vom Himmel. Der Boden ist gesättigt und kann nichts mehr von dem Nass aufnehmen. Tagsüber regnet es meistens nicht und die Temperaturen sind zum Wandern gerade richtig.

Nach dem Frühstück bringt mich das Auto in die Innenstadt und ich werde an der Kathedrale abgesetzt. Bevor ich mich auf den Weg nach Lascabanes mache, will ich diese schon noch besichtigen. Um elf Uhr findet das tägliche Orgelkonzert statt. Ich hadere lange mit mir, ob ich es mir anhören soll. Verschiebe meinen Aufbruch dann aber doch nicht.

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Vor der Kathedrale findet ein Markt statt, wo der französische Feinschmecker alle Delikatessen frisch findet. Für mich bleibt es nur ein optischer Genuss. Die Hauptroute ist auf meinem GPS gespeichert und so finde ich dieses Mal ohne Probleme auf den Jakobsweg zurück.

Über die Brücke geht es auf die andere Seite des Lot, der hier seine Wassermassen eindrucksvoll über ein Wehr wälzt.

Direkt dahinter eine Felswand, die den Lot in die Kehre zwingt. „Für Pferde und Esel verboten“, steht auf einem Schild und schickt diese auf einen Umweg. Ich muss da natürlich hochschwitzen, mache einen kleinen Abstecher zum Croix de Magne und genieße den tollen Ausblick auf Cahors zum Abschied.

Fast genauso spektakulär sind die Immobilien, die mich auf meinen weiteren Weg begleiten. Vor einer nähert sich ein Porsche, dem von Geisterhand ein Tor geöffnet wird. Das Auto gleitet langsam über die eine breite gepflegte Auffahrt zum überdachten Eingang des Herrenhauses mit einer breiten Glasveranda. Jemand steigt aus und verschwindet unter den hohen Türen. Alles beobachtet von Dutzenden von Kameras! Wer ist den hier so wichtig, dass er so bewacht werden muss?

Egal! Ich bin heute gut drauf und es geht schnell voran trotz einer Berg- und Talbahn! Zunächst geht es hoch nach La Rozìere, dann wieder runter, dann gleich wieder hoch nach Labastide-Marnhac, wo es erst einmal bei einer Pause Apfelsaftschorle zum Abwinken gibt. Mein Verbrauch ist ein Liter pro fünf Kilometer, was auf Etappe ungefähr fünf Liter ergibt. Zumindest die Hälfte habe ich immer in meinem Rucksack. Durst ist schlimm!

Auf dem zweiten Teil der Etappe geht es auf einem Bergrücken entlang und endet schließlich nach einem ungeliebten Abstieg in Lascabanes, einem der zertifiziert schönsten Dörfer in Frankreich. Dies ist in der Tat nicht übertrieben. Ich fühle mich hier sofort pudelwohl.

Wir haben heute einen wirklichen schönen Übernachtungsplatz unter einer Linde auf dem kleinen parkähnlichen Parkplatz direkt gegenüber einer Gite. Das Treiben der Pilger vom Waschen ihrer Bekleidung über das Sonnenbad in den Liegestühlen des Gartens bis hin zum Aperitif vor dem gemeinsamen Abendessen liefert kurzweilige Unterhaltung mit der kein Spielfilm mithalten kann. Immer was zu gaffen!

Für Beunruhigung sorgt nur der Kirschbaum in der Mitte des benachbarten Garten mit seinen runden tiefrot glänzenden Früchten im Schein der untergehenden Sonne, der mich geheimnisvoll zu einer Kostprobe anzieht. Meine Frau spielt Anstandswächter und verbietet mir auch nur eine davon zu vernaschen: „Das macht man nicht! Die anderen machen das auch nicht.“

Von Saint-Chély-d’Aubrac bis Espalion

(Saint-Chély-d’Aubrac/Espalion, Samstag, 24.06.2017)

Für meine Verhältnisse sehr früh breche ich nach Espalion aufGil sitzt nicht mehr am Kastanienbaum, sondern hat sein Lager in den Aufenthaltraum des Campingplatzes verlegt, von wo er nun an eine Wand gelehnt und eine Decke gehüllt bewegungslos auf die Welt schaut.

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Die Dorfmitte von St.Chely wird aufgepepellt.Höchste Zeit!

Ein paar Meter weiter an der Brücke über den Boralde auf wenigen Quadratmeter ein Kleinod!

Am Friedhof vorbei geht es leicht ansteigend in den Wald bis L’Estrade. Ich treffe Mutter und Tochter aus Voralberg, die ich aufgrund des Dialekts für Schweizerinnen halte. Minutenlang beteuern sie wie glücklich und stolz sie sind, Österreicherinnen zu sein, und sie nie etwas anderes sein wollten.

In L’Estrade ist auf private Initiative ein Aire eingerichtet, wo sich der Wander versorgen kann. Herzlichst willkommen an jeder anderen Stelle ist es nach den paar Metern aber jetzt doch noch zu früh, eine Pause einzulegen. Prophylaktisch fülle ich mich nur mit Wasser auf bis es aus dem Hals schwappt.

Heute ist aber wirklich ein Supertag. Der Samstag fühlt sich wegen der tiefen Stille an wie ein Sonntag. Es ist warm, aber nicht heiß. Der Himmel ist noch bedeckt: Keine direkte Sonne, mein Lieblinswetter!

Die weniger Kilometer von gestern tun meinen Beinen gut. Ich bekomme gar Lust auf Joggen. Juhu! Ich werde von Tag zu Tag fitter.

Ein Wander nach dem anderen wird überholt. Bis auf einen! Der versucht auf Teufel komm raus, mir davon zu laufen. Soll er doch! Doch genau so schnell er gelaufen ist, schlägt er einen Haken, setzt sich hin und macht eine Pause. Das hätte er auch bequemer haben können! Morgen wird er übrigens das Gleiche machen.

Den nun folgenden Abstieg bewältige ich tatsächlich oft in leichten Trab verfallend. Die Idee dabei: wandle die potentielle Energie in kinetische Energie, statt sie durch Abfederung zu verschwenden und die Oberschenkel zu belasten.

Meinem Vorwärtsdrang wird durch Vroni und Thomas aus Stammham Einhalt geboten, die in der Talsohle eine Pause machen. Die beiden brechen morgens als erste auf und sind oft die letzten, die am Nachmittag am Zielort ankommen.

Nachdem üblichen Getratsche nehmen wir zunächst gemeinsam die Gegensteigung nach La Roziere in Angriff. Bald ist aber von den beiden nichts mehr zu sehen. Sie gehen ganz einfach den ihnen passenden Rhythmus.

Unten im Tal des Lot hebt sich schon St.Come d’Olt ab. Die gewundenen Kirchtürme und die engen winkligen Gassen darunter versetzen einen in die Welt von Hary Potter. Es fehlen nur die fliegenden Besen. Vor der Kirche treffe ich Roswitha, die mir bei der Rast von ihren Begegnungen und Erlebnissen in den letzten paar Stunden erzählt.

Über die Brücke geht es über den Lot schon auf den letzten Teil der Etappe nach Espalion. Daneben liegt ein schöner schattiger Campingplatz, zu dem wir später mit dem Van zurückkehren.

Ich folge der Ausschilderung des GR65, der mal wieder prompt vom Tal in die Höhe führt. Will man nicht zur Eglise de Perse, kann man sich den Aufstieg sparen.  Das tue ich nicht und komme trotzdem nicht dorthin, weil ich an einer Kreuzung mit dubioser Wegweisung die falsche Alternative wähle und zu früh ins Tal absteige. Das ist nicht nur wegen der paar hundert Höhenmeter extra ärgerlich, sondern insbesondere entgeht mir der schaurig schönen Ort, an dem der Heiligen Hilarius nach seiner Enthauptung durch die Sarazenen den Kopf unter den Arm nimmt, ihn an einer Quelle wäscht, und sich dann zu seiner Bestattung hinlegt.

Die Stellplätze in Espalion sagen uns nicht zu und wir kehren nach St.Come zurück. Auf der Straße dorthin begegnen uns die Pilgerkollegen, die so clever sind, nicht den GR65 zu nehmen.  Bei ihrem erbärmlichen Anblick wäre das auch nicht ratsam. Ich überlege kurz, sie alle in den Van zu setzen und sie zu ihrem Ziel zu transportieren. Der Stolz und die Ehre eines Pilgers lässt das aber nicht zu.