Von La-Romieu bis Routges

(La Romieu/Routges, Donnerstag, 04.07.2019)

Unser Standplatz in La Romieu liegt mitten im Dorf. Trotzdem bleibt es die ganze Nacht außergewöhnlich still. Kurz vor Mitternacht kreuzen mehrere Spaziergänger in der kühler werdenden Nacht auf, um ihre Kinder und Hunde auszuführen. Die Hitze des Tages verhindert das zur Zeit

Das erzählt mir zumindest meine Begleiterin. Ich freilich bekomme davon nichts mit. Meine Schlafzeiten habe ich den Hühnern angepasst: mit Sonnenuntergang geht es in die Koje, mit Beginn der Morgendämmerung beim ersten Krähen eines Hahnes wieder raus. Mit dem Sonnenaufgang bin ich mit dem Frühstück fertig, das jetzt nicht mehr aus Schinken mit Spiegeleiern besteht, sondern aus Müsli mit Banane.

Auf geht es dann zur Kirche nach Routges. Hier handelt es sich nach dem Reiseführer um ein epochales Bauwerk. Einen gewißen Charme hat has Gebäude mit seinem Schimmel durchwachsenen Taufstein und zusammengebrochen Beichtstuhl schon auch. Am meisten fasziniert jedoch der Kontrast den alten verwitterten Kalksteinmauern zu den satt grünen Rebstöcken der umgebenden Weinfelder. Wo kommen eigentlich die Toten her, die dort begraben sind? Der einzige Mensch, den ich dort bei Ankunft antreffen werde , ist mein Coach (wie sich meine Frau seit neustem bezeichnet). Und sie hat das Warten auf mich unter den Schatten von Bäumen bei Temperaturen an die vierzig Grad auch noch als sehr schön empfunden!

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Doch der Reihe nach!

Zunächst komme ich Castelnau, wo die deutsche Wehrmacht im zweiten Weltkrieg ihr Unwesen getrieben hat. Der ganze Ort ist ein Denkmal für den Widerstand.

Durch mehrere kleine Bachtäler gelange ich an einem Stausee mit reifen Pflaumen an den Ufern vorbei nach Condom. Von weitem grüßt die Kathedrale. Aufgrund einer Trauerfeier ist mir jedoch von eher an Disco-Türsteher erinnernden Guards der Zutritt verwehrt

Einzige schattige Sitzgelegenheit ist ein Felsblock unter einem überdimensionalen Felsblock, den ich prompt zur Aufnahme meiner Salamischeiben mit Walnüssen statt Baguette benutze. Lange bleibe ich jedoch nicht. Die Sonne wandert weiter am Horizont und setzt mich ihrer prallen Hitze aus. Nicht gerade erholsam.

Mit dem Verlassen von Condom beginnt meine Leidenszeit. Zunächst fordert mein Körper zusätzliche Flüßigkeitsaufnahme zur Verdauung der Hartwurstscheiben. Arroganterweise habe ich natürlich meine Wasservorräte nicht aufgefüllt. Nach Murphy gibt es keinen Wasserhahn, wenn man ihn am aller notwendigsten benötigt.

Zumindest kann ich anfangs noch im Schatten von Straßenbäumen laufen. Das hindert mich aber nicht einen Abzweig zu übersehen, der mir ein, zwei Kilometer Umweg einbringt.

Als es auf einem blitzendweiß blendenden Schotterweg auf eine exponierte schattenlose Hochebene geht, muss ich meine Flasche leeren. Sehr bedenklich in Anbetracht der zehn Kilometer vor mir!

Meine Augen tränen ohne Sonnenbrille. Gestern war ich noch fast überzeugt von meiner Unsterblichkeit, heute wird mir meine Vergänglichkeit vor Augen geführt. Ich beschließe periodisch unter schattigen Bäumen zu rasten. Die Erholung ist erstaunlich, obwohl man ohne Wenn-und-Aber ein Königreich gegen etwas Feuchtigkeit tauschen würde.

Schneller als erwartet blinkt das Weiß eines Campingvans vor einer Bauminsel inmitten eines Meeres von Weinstöcken. Selbst einen Wasserhahn gibt es dort! Der interessiert mich jetzt aber überhaupt nicht mehr! Denn mein Coach hat den öfter geäußerten Wunsch erhört, ein paar Flachen Pils im Kühlschrank kalt zu stellen.

Kluck … Kluck! Was willst du mehr?

Routges
Routges

Von Castet-Arrouy bis La-Romieu

(Castet-Arrouy/La-Romieu, Mittwoch, 03.07.2019)

Nach einem Jahr kehre ich nach Castet-Arrouy zurück und setze meinen Weg auf der Via Podiensis fort.

Als ich frisch geladene Batterien in mein Garmin einlege, finden sich noch Reste  getrockneten Dreckes unter  der Abdeckung. Die Überbleibsel vom vergangenen Jahr scheinen der Funktion nicht zu schaden. In jedem Fall ist heuer von Schlamm weit und breit nichts zu sehen. Der lehmige Boden ist in der Hitze der vergangenen Tage knallhart getrocknet. Ausrutschen scheint unmöglich. So mache ich mich forschen Schrittes auf den Weg zum angedachten Etappenziel Marsolan, werde letzten Endes aber in La Romieu landen.

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Seit dem letzten Jahr habe ich eher ausgedehnte Spaziergänge als richtige Wanderungen unternommen. Allerdings habe ich auch einen halben Zentner abgenommen. Dies scheint durchaus eine brauchbare Alternative zu ausgedehnten Trainingsmärschen. Auf jeden Fall fühle ich mich super. Trotz der Hitze!

astet Arrouy Abmarsch
Castet-Arrouy – Abmarsch

Die Silhouette mit der Kathedrale von Lecture taucht bald am Horizont aus. Irgendwie bewege ich mich nicht direkt auf den Ort zu, sondern in einem Bogen. Ja, ich weiß aus den vergangen Jahren: kurze Wege haben auf den Jakobsweg keine Priorität. Noch ärgert mich das nicht!

Da ärgert mich schon vielmehr, dass mein Handy nur verrauschte Bilder liefert. Der harte Aufprall auf die Teerstraße hat also doch negative Auswirkungen auf das Optiksystem. Das lässt meinen Vorsatz, mehr Bilder zu machen, schon im Keim ersticken.

In Lecture treffe ich dann den ersten Pilgerkollegen total erschöpft auf einer Bank vor der Kathedrale sitzend. Angetan mit Hose und Jacke, die sich für eine Alaskaexpedition eignen. Später erfahre ich, dass er einen 30 kg schweren Rucksack mit Zelt, Schlafsack und Hängematte schleppt. „Der macht es nicht mehr lang!“, denke ich. Falsch! in den nächsten Tagen werde ich ihn immer wieder treffen.

Ich schlendere langsam durch den schmucken aufstrebenden Badeort. Vor dem Tophotel nehme ich auf einer Parkbank ein Stück Salami mit Walnüssen gemäß den neuesten ernährungsphysiologischen Erkenntnissen zu mir.

Und schon geht es in der Mittagshitze weiter nach Marsolan! Wieder sehe ich den Kollegen von der Kathedrale müde unter dem Schatten eines Baumes liegend. Etwas weiter ein weibliches Gegenstück in einer ähnlichen Verfassung!

Vor Marsolan kommt mir meine Frau entgegen. Ich erhalte ein kurze Führung durch die fünf Häuser mit Kirche in der Ortschaft. Dann ziehen wir uns in unser Auto unter einem schattigen Baum beim Friedhof mit Trinkwasser zurück.

Das ist es eigentlich für heute gewesen. Ich fühle mich aber so gut, dass ich durchaus die zehn Kilometer nach La Romieu noch in Angriff neben kann. Also Trinkvorräte aufgefüllt und weiter geht es!

Auf dem Jakobsweg gilt: der Bogen ist die Verbindung zwischen zwei Orten. So geht man von Marsolan nach La Romieu schon ein ganzes Stück extra bis endlich nach Obstplantagen die eindrucksvolle Kathedrale gegenwärtig wird. Wohldem, der sich ein solches Gebäude hinstellen kann, um die Zeit bis zum Jüngsten Tag in einem angemessenen Ambiente zu verbringen.

La Romieu -Parken vor der Kathedrale

Wir verbringen eine zumindest Nacht davor.