Von Golinhac bis Conques

(Golinhac/Conques, Montag, 26.06.2017)

Um halb sieben wache ich auf. Beim Blick aus dem Fenster sehe ich Veronique schon bereit zum Abmarsch. Das kann ich auch verstehen, denn es fängt an zu tröpfeln. In ihrem Rasenbett ist es wahrscheinlich zu feucht. Heute wieder in oranger Short und in langärmliger Jacke. Sie muss auf Saundrine warten, die wahrscheinlich zu spät aus den Federn gekommen ist. Wir haben noch nicht einmal angefangen zu frühstücken.

Um acht Uhr bin dann auch ich bereit. So früh war ich schon lange nicht mehr unterwegs.

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Als ich Golinhac verlasse sehe ich Sara an einer Weggabelung von einer Rast aufbrechen. Sie hat die ersten Kilometer schon hinter sich.

Wir gehen gemeinsam. Unsere Geh-Rythmen sind auf der Ebene und leicht abwärts kompatibel. Wir unterhalten uns im wahrsten Sinne des Wortes über Gott und die Welt. Weil das Leben nicht nur aus Steuererklärungen besteht. will sie den nächsten Wochen tatsächlich bis nach Campostella. Die Zeit vergeht und schon sind wir vor Espeyrac.

Sara macht gerne Fotos und Selfies. Und so komm auch ich zu einem Foto und einem Selfie.

In Espeyrac muss sie ein dringendes Geschäft erledigen. Dies beendet unsern kurzweiligen gemeinsamen Walk. Wir werden uns wieder sehen.

Obwohl es jetzt wieder bergauf geht erhöhe ich die Schlagzahl. Es macht Spaß schnell zu gehen. Ich habe überhaupt keine Beschwerden. Nur meldet der Körper immer eindringlicher, dass er mit Nahrung versorgt werden will. Diesen Gefallen tue ich bei einer kurzen Rast in Sergues.

Irgendwann danach erscheint dann ein oranger Fleck in der Ferne. Entweder handelt es sich dabei um einen Straßenarbeiter oder Veronique in ihren Shorts. Bei weiterem Annähern zeigt sich, es sind Veronique und Saundrine, die mehr in Tarnfarben unterwegs erst später erkennbar ist.

Schnell sind die Uneinholbaren eingeholt. Mir fehlen die französischen Vokabeln, ihnen die englischen. Die Konversation ist ziemlich verkrampft. Die beiden Damen unterhalten sich mehr und mehr in ihrer Muttersprache. Da mache ich mich aus den Staub. „I see YOU later!“ Heute habe ich schon sowieso schon zu viel geredet.

Conques ist nicht mehr weit. Ein letzter schmerzhafter Abstieg in steinigem Geröll und ich bin da. Das Sollziel der diesjährigen Jakobstour ist erreicht. Alles was jetzt noch kommt, ist Zugabe.

Conques ist zweifellos ein bezauberndes Städtchen. Das wirklich Phantastische ist aber das Schmuckstück über der Pforte zur Basilika. Hier verstehe ich auf eindrucksvolle Weise wie sich die Menschen im Mittelalter die Welt und insbesondere ihr Ende mit dem Jüngsten Tag vorstellten.

Da sitzt Jesus in der Mitte oben umgeben von Herrscharen und richtet über die Lebenden und die Toten darunter, die gerade aus den  Särgen geholt werden. Die Guten werden die Ewigkeit in Herrlichkeit verbringen, die Bösen dagegen sind für alle Zeiten drastischen  Strafmaßnahmen ausgesetzt. Wer wollte dar kein Guter sein?

Noch weiter unten sitzt der müde Wanderer ganz klein. Wird er ein Guter oder Böser? In jedem Fall bekommt er einen ersten Eindruck von der ewigen Herrlichkeit als ein Pater „House of the Rising Sun“ auf der großen Orgel spielt. Und ein Pater muss das ja wissen!

Von Espalion bis Golinhac

(Espalion/Golinhac, Sonntag, 25.06.2017)

Morgens geht es von St.Come zurück nach Espalion. Dort gibt es nach langer Zeit wieder einmal einen Supermarkt, der sogar am Sonntag geöffnet hat. Nachdem die Vorräte zur Zufriedenheit aufgefüllt sind, erfolgt der Start nach Golinhac.

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An der Brücke dort läuft mir tatsächlich der Sprinter von gestern über den Weg. Er wird mich stadtauswärts überholen, um dann noch am Stadtrand einen Haken zu schlagen und sich auf den Boden niederzulassen. Von da an habe ich ihn nicht mehr gesehen.

Die Burg Calmont d’Olt zeugt von der großen Vergangenheit des Ortes.

Ein paar Kilometer weiter taucht Bessuéjouls mit seiner präromanischen Kirche auf. Ich spendiere auch dort wieder eine Kerze, wünsche meinen Lieben alles Gute und mir wiederum, dass alles so bleibt wie es ist.

Gleich dahinter werde ich erstmal wieder eine Rampe zunächst rauf und dann gleich wieder runter gejagt.

In Tredou an der Eglise St.Madeleine bedarf es einer längeren Auseinandersetzung mit dem Wasserhahn, um das begehrte Eau potable zum Laufen zu bringen.

Der Weg nach Verneres muss zur Erhöhung des Umsatzes an einer Bar vorbeiführen, und deshalb einen kleinen Umweg machen.

Dort gehe ich aber nicht hinein, sondern ich mache in einer kleinen Hütte am Ortsende Mittag.

Ich bin jetzt wieder im Lottal auf der D100. Meine Sicherheit gegenüber den Autos muss ich mir durch ein paar Höhenmeter auf einen dazu parallel verlaufenden Pfad erkaufen.

Ich überlege lange, ob ich über den Lot nach Estaing gehe. Letztenendes halten mich die Touristenmassen, die ich dort drüben sehe, davon ab.

Nach einer Lotkehre geht es brettl-eben für ein paar Kilometer an ihm entlang. Ein Abzweig führt in ein enges Seitental. Der einzige Weg um aus ihm herauszukommen wird nach oben im Erklimmen der dreihundert Meter höher gelegenen Talränder auf den nächsten vier Kilometern sein. Gott sei Dank liegt der schmale steinige Serpentinenpfad völlig im Schatten des Waldes.

Am Kulminationspunkt ist dann eine dieser Holzhüttentoiletten mit Aussicht aus Wasser. Dort nehme ich zum ersten Mal die rastende Sara aus Ravensburg war. „Warum machen wir das bloß?“, frage ich mehr rhetorisch. „Es bleibt immer was!“, schwäbelt sie. Sie weiß auch schon, wer ich bin: „Der Josef mit dem Campingbus.“, kichert sie wie ein Lachsack. Der kleine Rucksack hat mich verraten.

Nachdem üblichen Geplapper um die Fragen: „Wer ist wer?“und „Wer ist wo?“ brechen wir gemeinsam auf. Das aufgenommene Wasser wird reichen, um das Ziel lebend zu erreichen. Sara wird in einer Gite vor Golinhac übernachten und hat nun Angst, sie zu verpassen. Jedes  Gebäude ,an dem wir vorbeikommen, wird geprüft. Sogar ein Ziegenstall! Das dauert dann  doch zu lange, und wir verständigen uns darauf, dass ich allein weitergehe.

Vor Golinhac steht dann dieses alte Wegkreuz mit einer frischen Mooskrone, das ihm irgend jemand aufgesetzt hat. Aktion, die meiner Frau ähnlich schaut!

Dann erreicht der müde Wanderer den schön gelegenen Campingplatz auf der Höhe von Golinhac.

Viele andere haben sich diesen Platz ebenfalls zum Übernachten ausgesucht und tummeln sich jetzt im Swimmingpool. Ich bevorzuge eine kleine Flasche heute morgen im Supermarkt erworbenen kühlen Biers aus dem Campingvan-Kühlschrank und leere sie in einem Schluck. Kann es etwas schöneres geben, als ein kühles Bier die trockene Kehle runterlaufen zu lassen?

Veronique mit der orangen Short oder abwechselnd dem orangen Shirt, mit der Figur einer Marathonläuferin und ständig zum Aufbruch treibend, leistet sich das Gras auf dem Platz neben uns als Schlafstätte und den Hang als Rückenlehne. Normalerweise schläft sie auf freiem Feld. Sie hat kein Zelt, keinen Schlafsack, keine Matte. „Ich habe auch keine Angst vor Mäusen“,  sagt sie mir später einmal.

Veronique und Saundrine gehen jetzt offensichtlich gemeinsam. Saundrine hat beschlossen, meine Anwesenheit zu ignorieren.