Von Fribourg bis Romont

(Fribourg/Romont, Samstag, 29.09.2012)

Es ist Samstag, und die Finis Terrae Abschlussetappe für das Jahr 2012 von Fribourg nach Romont steht an.

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Beim Verlassen von Freiburg ist das Wetter alles andere als erbauend. Es sieht so aus, als stünde wieder eine Regenschirmetappe an. Und tatsächlich ist er von 29 Kilometern 28 aufgespannt. Der Regenschirm hat sich zu einem meiner wichtigsten Ausrüstungsteile gemausert.

Tief hängende Wolken verstecken die Landschaft, verhindern den weiten Blick und konzentrieren den Focus auf Nahes wie zum Beispiel einen Zwanzig-Zentner-Bullen, der plötzlich in Nasenring-fass-Reichweite nur durch einen dünnen Elektrodraht getrennt auf einer Weide als erweiterte Konsequenz der artgerechten Kuhhaltung gegenübersteht.

„Solang de net die Aug’n verdrah’n, und Du net as Weisse siachst, brauchst de net z’fiarchtn“, unterrichtete mich mein seliger Vater und immerhin Metzgermeister und Viehhändler während des täglichen Viehtreiber-On-The-Job-Training, das meistens den Vorrang vor dem Kindergartenbesuch erhielt. Der Stier verdreht seine rehbraunen Augen tatsächlich nicht und lässt nur ein gelangweiltes „Muh“ verlauten, um dann seine volle Aufmerksamkeit wieder auf seine momentane Lieblingskuh zu richten, die in einem Wechsel zwischen Lust und Unlust badet und unschlüssig ist, ob sie den Meister gewähren lassen oder lieber Grass fressen soll.

Damals als Fünfjähriger hätte ich wahrscheinlich mit dem Stier gesprochen und ihm die Stirn gekrault. Heute mache ich mich doch lieber langsam aus dem Staub. Denn ich weiß auch: nicht weit vom väterlichen Grab ruht mein Namensvetter und Urgroßonkel, der den zu nahen Kontakt mit einem solchen Wesen noch jung an Jahren mit dem Leben bezahlte. Hoffentlich muss ich nicht einmal lesen, ein Stier hat einen nur auf Gott vertrauenden Jakobspilger auf die Hörner genommen!

Der Bulle ist mir trotzdem unwahrscheinlich sympathisch. Für den neutralen, universalen, außerirdischen Beobachter ist die Frage „Wer ist beneidenwerter: ein Mensch, der im Regen nach Romont läuft, oder ein Bulle, der nur seine Damen beglückt und dazwischen Gras frisst?“ sicherlich nicht einfach.

Zweifellos eine Regenfrage!

Der Regen hört dann genau vor dem Aufstieg nach Romont auf. Die Begeisterung nach fast 30 Kilometern nochmal auf einen Berg zu steigen, hält sich in Grenzen. Doch die Stadt auf dem Berg kann den müden Krieger am Schluß doch noch begeistern.

Als beim Abtauchen in der Anderswelt der behaglich trockenen Kirche auch noch die Orgel ein kleines Konzert anstimmt, ziehe ich meine Existenz der eines wahrscheinlich momentan wiederkäuenden, mit der Regenerierung seiner Resourcen auf einer naßen Wiese beschäftigenden, ewig zum Sprung bereitstehen müssenden Bullen vor.

Auf Wiedersehen dann bis zum nächsten Jahr in Romont für den Aufbruch zum Genfer See!

Von Tafers bis Fribourg

(Tafers/Fribourg, Freitag, 28.09.2012)

In einem kurzen Freitagvormittagspaziergang geht es von Tafers nach Fribourg. Am Nachmittag will ich die Stadt besichtigen.

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In Tafers starte ich an der schönen Jakobskapelle. Hier wird die Pilgergeschichte von dem Sohn, der sich anstelle seines aufgrund einer weiblichen Intrige zu Unrecht des Diebstahls verdächtigten Vaters aufhängen ließ, in Bildern dargestellt. Der Vater setzte trotzdem seinen Weg nach Compostella fort …

Ich lerne daraus: „Setzte den Weg zunächst nach Freiburg fort!“

Von Rüeggisberg bis Tafers

(Rüegisberg/Tafers, Donnerstag, 27.09.2012)

Es ist Donnerstag. Es ist kühl, aber sonnig. Ideales Wetter um die Strecke von Rüeggisberg nach Tafers kurz vor Fribourg über Schwarzenburg in Angriff zu nehmen.

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Über dem Startort liegt das laute Gebrüll hunderter von Kühen. Am Ortsausgang findet auf einem Parkplatz eine Kuhkörung statt. Die Tiere werden an einer züchterischen Idealkuh gemessen. Je mehr Übereinstimmung desto höher ihr Wert und umgekehrt. Den Besitzern winken nicht nur überdimesionale Kuhglocken als Preise. Viel wichtiger ist wahrscheinlich der Prestigezuwachs und den Nachbarbauern zu übertrumpfen.

Die Viecher sind herausgeputzt im wahrsten Sinne des Wortes. Ich habe nun schon einige Kühe gesehen, aber so gestylte nun doch noch nicht. Wurzelbürsten zur Entfernung des letzten Staubkorns auf den schneeweißen Eutern und Haarspraydosen zur Fixierung der Striegelrichtung des Felles, um kleinere Mängel zu kaschieren und Stärken zu betonen, sind die Standardaccessoires. Für den Bewerter heißt es da natürlich genau hinschauen. Die Sache ist sehr ernst.

Lange schallt es von den Kühen noch beim Abstieg in die Schwarzwasserschlucht, von der es dann wieder Richtung Schwarzenburg aufzusteigen gilt. Auf der freien Hochebene weht plötzlich ein starker,kalter Wind direkt von vorn. Meinen Strohhut hält es nicht auf dem Kopf. Sein ständiges Einfangen nervt, und er landet auf dem Rucksack, obwohl ein Schutz gegen die intensive Sonnenstrahlung durchaus wünschenswert wäre.

Überraschender Weise führt der Jakobsweg nicht mehr über die von weiten sichtbare imposante Kirche und an Schwarzenburg vorbei. Stattdessen führt er direkt in die Ortschaft. So kann auch ich ein paar Franken der dortigen Wirtschaft durch den Erwerb und Verzehr eines Rindergulasches hinterlassen. So gestärkt ist der Abstieg in die Senseschlucht auf historischem Weg leicht.

In tausenden von Jahren hat sich der Fluss in den Sandstein gefressen. Der Mensch anderseits konnte schon früh Wege nach seinen Bedürfnissen aus dem weichen Molassesediment schneiden.

Nochmals geht es über die Hochebene von Heitenried und St.Antoni nach Westen bevor Tafers in einer Niederung dann endlich erreicht ist. Der Westwind ist jetzt zwar warm aber trotzdem so stark, dass Radfahrer absteigen und ihr Vehikel schieben. Ich konnte sie überholen.

Von Iseltwald bis Merligen

(Iseltwald/Merligen, Montag, 24.09.2012)

Nach mehr als drei Monaten kehre ich nach Iseltwald zurück, um jetzt das nachzuholen, was im Sommer schmerzbedingt verwehrt war. Heute soll es auf dem Jakobsweg bis nach Merligen gehen, in den nächsten Tagen bis nach Fribourg.

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Auf der Straße, die ich damals im schweizerischen Postauto befuhr, gehe ich heute auf Schusters Rappen dem Brienzer See entlang. Wie schon im Sommer wieder unter dem Regenschirm! Just als ich die ersten Schritte mache, fängt es aus allen Kübeln zu schütten an! Hoffentlich ist damit das Kontingent an Gemeinsamkeiten ausgeschöpft.

Interlaken ist zunächst aus der Ferne nur hinter einem Schleier erkennbar. Ähnlichkeiten mit Bildern vom Vierwaldstätter See sind zufällig!

Entlang der Aach betrete ich Interlaken. Schiffe fahren hier rückwärts, weil Wendemanöver auf dem engen Zufluss vom Thuner See wahrscheinlich zu beschwerlich sind.

Mein Wanderweg setzt sich auf der Hauptflaniermeile zwischen den Bahnhöfen Ost und West fort. Grande Hotel, Hotel Royal, Hotel Savoy … künden von der großen Zeit der 20-er Jahre. Heute für mich eher Attrappen wie ausgestopfte Saurier in einem Dinopark! Auf jeden Fall hat der sich ebenfalls sehr mondän gebende McDonald die meisten Besucher.

Der Blick auf Eiger, Mönch und Jungfrau ist heute leider getrübt.

Freilich gibt es hier auf dem Weg nach Merligen genügend anderes Hingucker.

Von Einsiedeln bis Ingenbohl

(Einsiedeln/Ingenbohl, Freitag, 08.06.2012)

Kurz nach neun Uhr komme ich am Freitagmorgen wieder am Einsiedelner Bahnhof an für den nächsten Teilabschnitt zum Finis Terre mit dem Ziel Fribourg. Eine abenteuerliche Anreise von München über Ulm, der Schwäbischen Eisenbahn nach Friedrichhafen, und dem Schiff über den Bodensee nach Romanshorn liegt bereits hinter mir. Eine ziemlich schwere Etappe nach Ingenbohl über den Hagenegg mit 1455 Metern immerhin der höchste Punkt der Schweizer Jakobswege habe ich noch vor mir.

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Der Wettergott scheint noch einmal ein Erbarmen zu haben. So hört es nach Verlassen von Einsiedeln zum Regnen auf. Dafür fängt es beim Kloster Au aus allen Kübeln zu schütten an. Und bis zur Ankunft am Abend in Ingenbohl soll es nicht mehr aufhören.

Bis Alpthal klappt es ganz gut unter dem Regenschirm. Doch beim Aufstieg zum Hagenegg in der direkten Falllinie parallel zu einem herabstürzenden Bach kann ich mir diesen Luxus nicht mehr leisten. Aber es ist sowieso egal, ob ich vom Regen oder vom Schweiß nass bin.

Dann steht auch noch eine Überquerung des Gewässers an. Ansonsten ein Rinnsal ist er jetzt kniehoch angeschwollen. Und ich muss dadurch ohne den Grund mit den Steinen zu sehen und einem schweren Rucksack auf dem Buckel! Ich sehe mich schon in der vertikalen Lage. Meine Stiefel geben mir aber einen guten Halt und, obwohl unter Wasser, bleiben sie innen trocken. Das Produkt hält, was die Werbung verspricht Trotzdem ist mir das immer noch ein Rätsel.

Bis zum Hagenegg geht es in einem Nebelband. Obwohl die Mythen sich in unmittelbarer Nähe befinden müssten, ist nichts von ihnen zu sehen. Erst bei einer kurzen Pause klart es auf, und die Mythenwand liegt unmittelbar vor mir. Welche Ausblicke sind mir entgangen?

Kann man den Aufstieg noch als sportliche Herausforderung ansehen, ist der Abstieg mit 1000 Metern Differenz (!) nach Schwyz in einem als Weg umfunktionierten Bachbett eine einzige Schinderei. Die Schönheiten des Ortes sind mir daraufhin ziemlich Wurst. Einzig ein Supermarkt mit Futter weckt mein Aufmerksamkeit.

Erschöpft gelange ich zu meiner heutigen Bleibe,dem Gästehaus Mutter Theresa des Klosters Ingenbohl. Wer hätte das gedacht, dass sich eine Schwester einmal um mein Nachtlager kümmert? Recht herzlichen Dank!