Von Flüeli bis Lungern

(Flüeli/Lungern, Montag, 11.06.2012)

Als ich mich von Flüeli nach Lungern auf den Weg mache gießt es natürlich wieder. Genauso kann man sich aber darauf lassen, dass der Regen gegen Mitte des Vormittags aufhört. Mich stört das auch nun nicht mehr weiter, denn mein Drei-Euro-Regenschirm wird so getragen, dass er auf dem hochgepackten Rucksack aufliegt, und ich nur den Finger in die Schlaufe seines Knaufs stecken muss, um ihn mit leichtem Zug zu stabilisieren. So wird weder mein Gepäck noch ich nass.

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Zur Abwechslung starte ich heute nicht mit einem Aufstieg, sondern mit einem Abstieg. Wie immer folgt der Weg dem Betrag des größtmöglichen Gradienten zum Sarner See nach Sachseln. Aber mein Gehwerk hat sich offensichtlich gut an die Belastungen angepasst.

Da offensichtlich eine Menge davon in Flüeli übernachteten, bietet sich immer wieder die Möglichkeit zum Erfahrungsaustausch mit anderen Pilgern. Die horrenden Preise in der Gastronomie werden allgemein beklagt.

Dann heißt es zwischen Sachseln und Giswil einen Blick zurückwerfen, und schon ist der Sarnener See Geschichte.

In Giswil finde ich tatsächlich ein Lokal, dass nicht nur geöffnet hat, sondern das auch noch am Montag. Und dazu gibt es ein anständiges Drei-Gänge-Menü zu einem anständigen Preis.

So gestärkt fällt der Aufstieg zum Lungerer See leichter. Weil es gut läuft, nehme ich mir für heute auch noch den Brünigpass vor.

Doch schon in Bürgelen ändert sich die Situation wieder. Irgendetwas in meinem Gedärm fordert kompromisslos Auslass. Dem gerecht zu werden, ist angesichts der unbewaldeten, unbebuschten, gut einsehbaren Steilhänge rechts zum Berg und links zum See fast unmöglich. Da heißt es Mut zum Risiko in der sauberen Schweiz!

Zur Vermeidung von unangenehmen Seiteneffekten wie einem Wolf beschließe ich es für heute bei Lungern zu belassen.

Ich suche das Haus St.Josef auf. Und ich fühle mich auf Anhieb wohl in dem Belle-Epoque-Bau. Dazu nette Leute und für jedes Budget ein Angebot! Und ein funktionierendes und kostenloses WLAN! Der Tip!

Von Stans bis Flüeli

(Stans/Flüeli, Sonntag, 10.06.2012)

Am Sonntag weckt mich noch während der Morgendämmerung ein lautes Piepsen aus dem Tiefschlaf in meinem Hundert-Franken-Hotel. Zunächst tippe ich auf mein Handy und verdächtige den Schweizer Provider, eine neue Sounddatei aufgespielt zu haben. Aber natürlich nimmt die Bahn ihren Betrieb auf, und das Geräusch stammt von einem sich schließenden Übergang unmittelbar unter meinem Zimmerfenster. Das stand natürlich nicht auf der Webpage des Hotels.

Und weil ich schon wach bin, versuche ich das Prasseln der Regentropfen nicht zu hören. Aber es ist zweifellos da.

Wie schon gestern stoppen aber die Niederschläge mit dem Aufbruch nach Ranft und Flüeli. Und tatsächlich sollte es doch ein schöner Tag werden.

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Nach Stans gilt es natürlich erst einmal wieder ein paar Höhenmeter zu gewinnen. Doch solange ich nicht in die Wolken gelange, ist das erst einmal ok. Außerdem scheint der ausgeschilderte Jakobsweg nicht jede vorhandene Bergspitze im Gegensatz zu meiner Planung einbeziehen zu wollen. Das verspricht eine vergleichsweise leichte Etappe zu werden.

Offensichtlich bin ich nicht der einzige auf dem Weg Finis Terre. Auch wenn es dann nicht mehr weiter geht.

Noch einmal ein Blick zurück nach Stans. Und dann heißt es Abschied nehmen vom Vierwaldstätter See.

Gibt es eine Ortschaft mit Namen St.Jakob, so muss der Jakobsweg natürlich hindurchführen. Hinweise auf den Namensgeber finde ich nicht. Dafür ist aber die Gestaltung von Holzstößen bemerkenswert. Was bleibt ist die Illusion, sich auf alten Pfaden zu bewegen.

Obwohl erst Mittag stelle ich mit Blick auf mein Navigationsgerät fest,es ist nicht mehr weit nach Flüeli. Inzwischen kommt die Sonne durch, und ich beschließe eine ausgiebige Siesta auf einer Bank am Waldrand. Ein kurzes Schläfchen, und ich fühle mich wie neu geboren. „Erholung statt Kilometer“, lautet die Devise jetzt.

Auf sanften Bergrücken mit ersten Ausblicken auf den Sarner See geht es weiter bis der Weg plötzlich steil in eine Schlucht abfällt. Hier ist Ranft, wo der Schweizer Nationalheilge Bruder Klaus im fortgeschrittenen Alter als Eremit hauste.

Noch einmal geht es kurz steil bergauf nach Flüeli. Eigentlich wollte ich ja heute Schlafen im Stroh machen. Da ich die entsprechende Örtlichkeit hätte erst suchen müssen und die haarstäubenden Schilderungen eines Pilgerkollegen über Übernachtungen in Massenlagern, lassen mich dann doch wieder ein Hotel aufsuchen.

Was ich nicht wusste war, dass dort auch eine Gruppe spätpubertärer Amerikaner auf dem Trip Europa-in-fünf-Tagen ankommen und über die mangelnden Shoppingmöglichkeiten in Flüeli frustriert sein ist. Was ich nicht wusste war, dass ihr Fahrer den Motor seines Busses exakt um sechs Uhr morgens unter meinem Fenster starten würde.