Von Espalion bis Golinhac

(Espalion/Golinhac, Sonntag, 25.06.2017)

Morgens geht es von St.Come zurück nach Espalion. Dort gibt es nach langer Zeit wieder einmal einen Supermarkt, der sogar am Sonntag geöffnet hat. Nachdem die Vorräte zur Zufriedenheit aufgefüllt sind, erfolgt der Start nach Golinhac.

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An der Brücke dort läuft mir tatsächlich der Sprinter von gestern über den Weg. Er wird mich stadtauswärts überholen, um dann noch am Stadtrand einen Haken zu schlagen und sich auf den Boden niederzulassen. Von da an habe ich ihn nicht mehr gesehen.

Die Burg Calmont d’Olt zeugt von der großen Vergangenheit des Ortes.

Ein paar Kilometer weiter taucht Bessuéjouls mit seiner präromanischen Kirche auf. Ich spendiere auch dort wieder eine Kerze, wünsche meinen Lieben alles Gute und mir wiederum, dass alles so bleibt wie es ist.

Gleich dahinter werde ich erstmal wieder eine Rampe zunächst rauf und dann gleich wieder runter gejagt.

In Tredou an der Eglise St.Madeleine bedarf es einer längeren Auseinandersetzung mit dem Wasserhahn, um das begehrte Eau potable zum Laufen zu bringen.

Der Weg nach Verneres muss zur Erhöhung des Umsatzes an einer Bar vorbeiführen, und deshalb einen kleinen Umweg machen.

Dort gehe ich aber nicht hinein, sondern ich mache in einer kleinen Hütte am Ortsende Mittag.

Ich bin jetzt wieder im Lottal auf der D100. Meine Sicherheit gegenüber den Autos muss ich mir durch ein paar Höhenmeter auf einen dazu parallel verlaufenden Pfad erkaufen.

Ich überlege lange, ob ich über den Lot nach Estaing gehe. Letztenendes halten mich die Touristenmassen, die ich dort drüben sehe, davon ab.

Nach einer Lotkehre geht es brettl-eben für ein paar Kilometer an ihm entlang. Ein Abzweig führt in ein enges Seitental. Der einzige Weg um aus ihm herauszukommen wird nach oben im Erklimmen der dreihundert Meter höher gelegenen Talränder auf den nächsten vier Kilometern sein. Gott sei Dank liegt der schmale steinige Serpentinenpfad völlig im Schatten des Waldes.

Am Kulminationspunkt ist dann eine dieser Holzhüttentoiletten mit Aussicht aus Wasser. Dort nehme ich zum ersten Mal die rastende Sara aus Ravensburg war. „Warum machen wir das bloß?“, frage ich mehr rhetorisch. „Es bleibt immer was!“, schwäbelt sie. Sie weiß auch schon, wer ich bin: „Der Josef mit dem Campingbus.“, kichert sie wie ein Lachsack. Der kleine Rucksack hat mich verraten.

Nachdem üblichen Geplapper um die Fragen: „Wer ist wer?“und „Wer ist wo?“ brechen wir gemeinsam auf. Das aufgenommene Wasser wird reichen, um das Ziel lebend zu erreichen. Sara wird in einer Gite vor Golinhac übernachten und hat nun Angst, sie zu verpassen. Jedes  Gebäude ,an dem wir vorbeikommen, wird geprüft. Sogar ein Ziegenstall! Das dauert dann  doch zu lange, und wir verständigen uns darauf, dass ich allein weitergehe.

Vor Golinhac steht dann dieses alte Wegkreuz mit einer frischen Mooskrone, das ihm irgend jemand aufgesetzt hat. Aktion, die meiner Frau ähnlich schaut!

Dann erreicht der müde Wanderer den schön gelegenen Campingplatz auf der Höhe von Golinhac.

Viele andere haben sich diesen Platz ebenfalls zum Übernachten ausgesucht und tummeln sich jetzt im Swimmingpool. Ich bevorzuge eine kleine Flasche heute morgen im Supermarkt erworbenen kühlen Biers aus dem Campingvan-Kühlschrank und leere sie in einem Schluck. Kann es etwas schöneres geben, als ein kühles Bier die trockene Kehle runterlaufen zu lassen?

Veronique mit der orangen Short oder abwechselnd dem orangen Shirt, mit der Figur einer Marathonläuferin und ständig zum Aufbruch treibend, leistet sich das Gras auf dem Platz neben uns als Schlafstätte und den Hang als Rückenlehne. Normalerweise schläft sie auf freiem Feld. Sie hat kein Zelt, keinen Schlafsack, keine Matte. „Ich habe auch keine Angst vor Mäusen“,  sagt sie mir später einmal.

Veronique und Saundrine gehen jetzt offensichtlich gemeinsam. Saundrine hat beschlossen, meine Anwesenheit zu ignorieren.

Von Saint-Chély-d’Aubrac bis Espalion

(Saint-Chély-d’Aubrac/Espalion, Samstag, 24.06.2017)

Für meine Verhältnisse sehr früh breche ich nach Espalion aufGil sitzt nicht mehr am Kastanienbaum, sondern hat sein Lager in den Aufenthaltraum des Campingplatzes verlegt, von wo er nun an eine Wand gelehnt und eine Decke gehüllt bewegungslos auf die Welt schaut.

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Die Dorfmitte von St.Chely wird aufgepepellt.Höchste Zeit!

Ein paar Meter weiter an der Brücke über den Boralde auf wenigen Quadratmeter ein Kleinod!

Am Friedhof vorbei geht es leicht ansteigend in den Wald bis L’Estrade. Ich treffe Mutter und Tochter aus Voralberg, die ich aufgrund des Dialekts für Schweizerinnen halte. Minutenlang beteuern sie wie glücklich und stolz sie sind, Österreicherinnen zu sein, und sie nie etwas anderes sein wollten.

In L’Estrade ist auf private Initiative ein Aire eingerichtet, wo sich der Wander versorgen kann. Herzlichst willkommen an jeder anderen Stelle ist es nach den paar Metern aber jetzt doch noch zu früh, eine Pause einzulegen. Prophylaktisch fülle ich mich nur mit Wasser auf bis es aus dem Hals schwappt.

Heute ist aber wirklich ein Supertag. Der Samstag fühlt sich wegen der tiefen Stille an wie ein Sonntag. Es ist warm, aber nicht heiß. Der Himmel ist noch bedeckt: Keine direkte Sonne, mein Lieblinswetter!

Die weniger Kilometer von gestern tun meinen Beinen gut. Ich bekomme gar Lust auf Joggen. Juhu! Ich werde von Tag zu Tag fitter.

Ein Wander nach dem anderen wird überholt. Bis auf einen! Der versucht auf Teufel komm raus, mir davon zu laufen. Soll er doch! Doch genau so schnell er gelaufen ist, schlägt er einen Haken, setzt sich hin und macht eine Pause. Das hätte er auch bequemer haben können! Morgen wird er übrigens das Gleiche machen.

Den nun folgenden Abstieg bewältige ich tatsächlich oft in leichten Trab verfallend. Die Idee dabei: wandle die potentielle Energie in kinetische Energie, statt sie durch Abfederung zu verschwenden und die Oberschenkel zu belasten.

Meinem Vorwärtsdrang wird durch Vroni und Thomas aus Stammham Einhalt geboten, die in der Talsohle eine Pause machen. Die beiden brechen morgens als erste auf und sind oft die letzten, die am Nachmittag am Zielort ankommen.

Nachdem üblichen Getratsche nehmen wir zunächst gemeinsam die Gegensteigung nach La Roziere in Angriff. Bald ist aber von den beiden nichts mehr zu sehen. Sie gehen ganz einfach den ihnen passenden Rhythmus.

Unten im Tal des Lot hebt sich schon St.Come d’Olt ab. Die gewundenen Kirchtürme und die engen winkligen Gassen darunter versetzen einen in die Welt von Hary Potter. Es fehlen nur die fliegenden Besen. Vor der Kirche treffe ich Roswitha, die mir bei der Rast von ihren Begegnungen und Erlebnissen in den letzten paar Stunden erzählt.

Über die Brücke geht es über den Lot schon auf den letzten Teil der Etappe nach Espalion. Daneben liegt ein schöner schattiger Campingplatz, zu dem wir später mit dem Van zurückkehren.

Ich folge der Ausschilderung des GR65, der mal wieder prompt vom Tal in die Höhe führt. Will man nicht zur Eglise de Perse, kann man sich den Aufstieg sparen.  Das tue ich nicht und komme trotzdem nicht dorthin, weil ich an einer Kreuzung mit dubioser Wegweisung die falsche Alternative wähle und zu früh ins Tal absteige. Das ist nicht nur wegen der paar hundert Höhenmeter extra ärgerlich, sondern insbesondere entgeht mir der schaurig schönen Ort, an dem der Heiligen Hilarius nach seiner Enthauptung durch die Sarazenen den Kopf unter den Arm nimmt, ihn an einer Quelle wäscht, und sich dann zu seiner Bestattung hinlegt.

Die Stellplätze in Espalion sagen uns nicht zu und wir kehren nach St.Come zurück. Auf der Straße dorthin begegnen uns die Pilgerkollegen, die so clever sind, nicht den GR65 zu nehmen.  Bei ihrem erbärmlichen Anblick wäre das auch nicht ratsam. Ich überlege kurz, sie alle in den Van zu setzen und sie zu ihrem Ziel zu transportieren. Der Stolz und die Ehre eines Pilgers lässt das aber nicht zu.