Von Auvillar bis Castet-Arrouy

(Auvillar/Castet-Arrouy, Sonntag, 10.06.2018)

Keine ruhige Nacht! Erfüllt vom Donnerhall! Keine dunkle Nacht heute! Taghell erleuchtet von blauen weißen Blitzen! Gute Fernsicht über das Tal der Garonne! Und Wasser! Viel viel Wasser! Frankenstein lässt grüßen! Unser Mobil steht sicher wie ein Schiff auf dem Parkplatz von Auvillar, wo der Wind das Wasser in Knie hohen Wellen anpeitscht.

Am Morgen ist wieder alles ruhig! Die Ruhe nach dem Sturm! Es liegen etwas Laub und abgebrochen Äste herum! Erst auf dem Weg nach Castet-Arrouy wird der angerichtete Schaden ersichtlich.

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Am Anfang gehe ich auf Teerstraßen und komme gut voran. Hi und da läuft etwas Wasser über die Straße! Aber nichts Besonderes! Nach Bardigues geht es den kleinen Hang nach St.Antoine hinunter. Der Weg ist ziemlich ausgeschwemmt und dient inzwischen als Bachbett. Der eigentliche Bach unten im Tal ist zu einem Fluss angeschwollen, dessen Wassermassen fast bis zu den Fenstern der dortigen Mühle reichen. Der gelbe Schlauch im Garten davor ist ungenutzt. Heute entfällt das Gießen!

Vor St.Antoine ist Erdreich auf die Straße gespült. Total verdreckte Orientierungsläufer kommen erschöpft von einem Berg herunter. Ich lasse es mir nicht nehmen, ihnen in die Zielgasse zu folgen und die Ziellinie zu überqueren. Die Zeitnehmer haben damit kein Problem. Einen der ausgestellten Pokale bekomme allerdings auch nicht.

Der Besuch in der dunklen Kirche ist wie eine Zeitreise ins Mittelalter. Beim Verlassen und Rückkehr in die Gegenwart treffe ich zum letzten Mal Matthias, für den ich vom Metzgersohn zum Metzger mutiert bin und den ein „Metzger auf dem Jakobsweg“ verwundert.

Bevor ich nach Flamarens steil hochgehen darf, quere ich ein Tal mit einem Graben, der heute zum Bach angeschwollen ist. Kein Steg und keine Brücke! Da heißt es: einfach durch! Das Wasser ist gar nicht soo kalt!

Nach der Mittagspause geht es wieder auf der Straße weiter. Der parallel geführte Fußweg ist total verschlammt und nicht benutzbar. Die Erde wurde aus der Höhe der Hangfelder gespült und sammelte sich unten in Sumpfmulden. Manchmal liegt die Straße tiefer und dann ist der ganze Dreck dort. Unpassierbar! Allein die Bauern verschaffen sich in einer Mischung aus Schrecken und Gelassenheit einen ersten Überblick! Und die Pilger sind natürlich nicht zu bremsen!

Es ist weise, unter diesen Bedingungen auf der Straße zu bleiben. Nur ein Narr oder unverbesserlicher Optimist wird sich auf die unbefestigten Wege entlang der Felder wagen. An diesem Tag gibt es genau zwei. Einer bin ich. Von dem anderen sehe ich die Spuren, insbesondere die Mulden, die der Körper nach Ausrutschern in den Morast drückt. Aber der Umweg auf der Straße ist mir zu weit. Umwege mache ich nicht mehr.

So gehe ich beim Chateau Gachepouy in die Botanik. Beim Aufstieg ist noch alles gut! Oben zeigt sich dann die Katastrophe: Die Krumme eines ganzen Feldes ist auf einer Breite von mindestens fünf Fußballfeldern auf den Jakobsweg hinunter gespült. Da versinke ich bis zu den Unterschenkeln im Dreck. Hie und da gibt es Inseln aus Grasbüscheln, die dank des gestrigen Trainings auch meistens erreiche, aber nicht immer. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis ich flach liege.

Und dann ist es soweit: ich verliere das Gleichgewicht, will mich mit der rechten Hand nicht abstützen, um mein GPS nicht zu gefährden, und lande mit dem Bauch voraus
bis zum Kinn im Schlamm. Beim Suchen nach Halt, wälze ich mich dazu noch nach links und rechts. Das GPS leidet dann doch noch. Um wieder auf die Beine zu kommen, muss es in der rechten Hand in den Schmutz. Da steh ich nun ich armer Torr! Wie komme ich hier wieder raus?

Einfach mal weiter? Hoffnungslos! Der Point-Of-Return ist längst überschritten. Ich sehe mich schon an der Winde eines Hubschraubers. Da kommt der rettende Gedanke: ich muss in das Feld! Da die haltlose Krumme herausgespült ist, muss man da ja festen Boden unter den Füßen haben. Fest ist übertrieben! Aber ich komme nun doch im Slalom durch Sonnenblumenpflänzchen mit freiliegenden Wurzel voran.

Am vereinbarten Treffpunkt am Friedhof von Castet-Arrouy befindet sich eine Wasserleitung zur zeitaufwendigen Körper- und Materialreinigung. Nach Lecture gehe ich nicht mehr: eine Nationalstraße oder als Alternative ein Feldweg haben heute keinen Reiz mehr.

Weitere Regenfälle in der Nacht führen zum Entschluss hier nächstes Jahr weiterzumachen, wenn hoffentlich die Feldwege wieder trocken sind. Auf nach Toulouse zur abschließenden Stadtbesichtigung!

Von Moissac von Auvillar

(Moissac/Auvillar, Samstag, 09.06.2018)

Bevor es nach Auvillar weitergeht steht eine Stadtbesichtigung von Moissac mit seiner Kathedrale und ihrem Portal an..

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Der Einmarsch von Osten auf einer vielbefahrenen Straße durch eine Art Industriegebiet war gestern nicht so spektakulär. Auf jedem Fall konnte mich nichts und niemand motivieren meinem Campingstuhl zu verlassen. Dabei musste ich nur über einen Damm gehen und schon hätte sich der Kanal der zwei Meere geoffenbart. Mit einem dieser Schiffchen vom Mittelmeer zum Atlantik zu tuckern, kann ich mir sehr sehr gut vorstellen.

Auf dem Markt gibt es auch wieder Kirschen, das Kilo für fünf Euro. Kein Vergleich zu denen von gestern!

Die Kathedrale taucht im Hintergrund auf und der erste Anblick des Portal trifft einen wie ein Blitz aus heiterem Himmel! Schon aus der Ferne bombastisch! Was erst, wenn man dort ist!

Das Jüngste Gericht! Was da alles noch auf einem zukommen wird! Hoffnungslos! Genießen wir die Gegenwart! Geben wir das Geld gleich aus, wenn wir es haben. Dann kann einem der Säckel nicht für alle Ewigkeit um den Hals gehängt werden.

Ich brauche aber gar nicht auf den Jüngsten Tag zu warten: ich erlebe meine private Hölle auf dem Panoramaweg für den ich mich bei L’Espagnette entscheide.

Zunächst ärgere ich mich nur wiedereinmal über den zu erwartenden Umweg: statt auf der Teerstraße wie im Führer beschrieben zu bleiben, folge ich der offiziellen Ausschilderung über einen Feldweg.

Dann ärgere ich mich über meine Dummheit, nicht wie das Pärchen hinter mir nach dieser Erkenntnis umgekehrt zu sein und die Straße zu benutzen. Insbesondere als der Feldweg aufgrund der Regenfälle der letzten Tage auch noch zu einem grundlosen morastigen Bachbett ohne schöne Ausblicke mutiert.

Über das feuchte Gewalke in den Schuhen und das Eindringen von Steinchen fängt meine linke große Zehe dann auch noch fürchterlich zu zwicken an.

Ich habe nach kaum einer Stunde die Schnauze voll! Da braucht es erst einmal eine Pause! Dort verbrauche ich fast meine zwei Liter Apfelschorle ohne Aussicht diese wieder auffüllen zu können. Aber immerhin ist mein Rucksack fast leer.

Als ich nach einem Auf-und-Ab in Boudou ankomme, werden die Schmerzen in der großen Zehe unerträglich. Der nahe Aussichtspunkt mit der grandiosen Aussicht interessiert mich überhaupt nicht. Ich beschließe das Pflaster um die großen Zehe zu inspizieren: tatsächlich es hat sich aufgerollt und drückt wie ein kantiger Keil mit dem jedem Schritt tief in die Haut.

Dort hat sich auch schon eine Blase gebildet. Pflaster entfernen, Blase aufstechen! Als ich den Schuh wieder anziehe, ist tatsächlich eine leichte Linderung zu spüren.

Am Busparkplatz des Aussichtspunktes gibt es dann auch noch Wasser. Das reicht bis Auvillar.

In nicht trinkbarerer Form gab es das auch auf dem abfallenden Feldweg in den letzten Tagen in Hülle und Fülle. Ein einziger Sumpf! Nicht nur Köcheltief, sonder Knietief! Nicht mehr durch Gehen, sondern nur durch Springen zu bewältigen! Ständige Furcht, der Schlamm zieht die Schuhe aus

Kaum unten geht es wieder nach oben! Immer noch keine Aussicht! Dafür geht es gleich wieder nach unten. Gleiches Szenario wie vorher!

In Malause hat das ganze dann ein Ende. Ich lege mich unter einem Nussbaum am Ortseingang und schlafe ersteinmal zwar kurz aber tief! Irgendwie erfrischend!

Überraschend kommt jetzt erst das Pärchen, das beim ersten Aufstieg umgekehrt ist. Spanier! Kommentar auf English: „A real hard day!“

Aber Wunder gibt es immer wieder! In der kurzen Pause habe ich mich gut erholt! Selbst die Zehe drückt nicht mehr.

Am Kanal geht es nun unter schattigen Bäumen auf den festen Treidelwegen gut voran. Schon eine ganz besondere Atmosphäre.

Dann noch einmal vier Kilometer von der rechten Seite des Tal flach hinüber zur linken mit der Überquerung der Garonne und der Aussicht auf ein Kernkraftwerk.. Freilich darf einen saftiger Aufstieg nach Auvillar nicht fehlen.

Bei der Ankunft stellt sich dann doch wieder diese großen Zufriedenheit ein. Wieder eine Menge erlebt. Vor allem auch sich selber!

Mit Aussicht!