Von Riedenburg bis Pattendorf

Dem Faltblatt der Riedenburger Fusswallfahrer nach ist der Weg über Buch, Gut Schwaben, Weltenburg, Arnhofen und Rohr nach Pattendorf am ersten Tag der Wallfahrt mehr als 47 km. Ich bin gut vorbereitet und werde mit diesem Pensum einen persönlichen Tagesrekord aufstellen. Ich bilde mir darauf nicht unbedingt etwas ein, weil fast alle der nahezu 800 Teilnehmer(innen) ebenfalls ankommen werden. Fast schäme ich mich, ohne größere Plagen über die Runden zu kommen. Denn Wallfahren ohne Schmerzen kann jeder. Ich ziehe den Hut vor der Unvernunft all derer, die nach Altötting ohne Vorbereitung müssen, ihre zu erwartende Leiden bewusst in Kauf nehmen und aufgrund welcher Kraft auch immer überwinden. Mir ist das ein Rätsel.

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Es geht angenehm locker zu in Riedenburg an diesem frühen Donnerstagmorgen vor Pfingsten. Die Geschlechtertrennung ist aufgehoben: Frau und Mann beten miteinander und nebeneinander und nicht hintereinander. Kurze Hosen sind selbstverständlich. Selbst ein die knackigen Hinterbacken betonendes Triathlonoutfit mit hautengem Achselshirt und genügend Lücken zur freien Sicht auf eine nicht unbedingt katholische Vollkörpertätowierung regt keinen auf: ich hätte dieses Kostüm eher auf der Loveparade erwartet.

Die einzige immer wieder gestellte Forderung ist die Dreierreihe. Die Dreierreihe ist nach Gegrüßet seist Du Maria …,Vater unser im Himmel … und Erbarme Dich … mit die meistbenutzte Phrase. Sie wird mich/uns bis zum Ende begleiten.

Das Gezwitscher der Vögel beim Aufstieg durch den Zauberwald auf den Lintlberg am mahnenden Frauenstein vorbei, die belohnend weite Aussicht dort in Gottes freier Natur ohne störenden Autolärm und Besiedlung, all die Menschen mit dem spürbar guten Willen machen schnell die unbeantworteten Fragen und ungelösten Probleme von gestern unwichtig. Schon jetzt bin ich froh mitgegangen zu sein. Meine Auszeit hat begonnen. Nur das Döner Kebab, das ich gestern Abend noch schnell am Münchener Hauptbahnhof eingenommen habe, steckt unangenehm drückend irgendwo in den Eingeweiden fest.

Bei optimalen Wander- bzw Wallfahrtwetter legt das Führungskreuz eine überraschend schnelle Pace vor. Trotzdem kommt von meinen Füßen eine wohlige Rückmeldung. Sie scheinen froh wieder in den bewährten Stiefeln zu stecken und sich einmal wieder so richtig ausgehen zu können. Nichts drückt! Damit sind schon die größten Probleme ausgeschlossen.

Unerwartet schnell erreichen wir unsere erste Pausenstation Stausacker. Schon aus weiter Ferne verkündet lautes Geläute die Ankunft wie schon in Buch zuvor und in allen weiteren Etappenorte sofern deren Türme nicht durch Einsturz gefährdet sind.

Nach einem Weißwurstfrühstück studiere ich Wallfahrtstechnologie in Form eines mobilen Lautsprechers und der Donaufähre Stausacker.

Immer wieder treffe ich Bekannte, die ich teilweise Jahrzehnte nicht mehr gesehen habe. Der Tenor ist fast immer der gleiche: „Gerade Dich hätte ich hier nicht erwartet.“ Ich habe ein Imageproblem.

Nach der Mittagspause in Offenstetten heißen kurz vor Rohr die legendären Frommen Kinder, die nun schön langsam dem Kindesalter entwachsen, die Pilger in der Hoffnung auf einen kleinen Obolus willkommen.

Das Ankommen in Rohr vor einem Jahr mündete unbefriedigend direkt in einem Meier-Bus, der drei Minuten später nach Hemau abfuhr. Diesmal ziehen wir feierlich in die Kirche ein. Der neue Abt Markus lässt es sich nicht nehmen, die Pilger persönlich am Portal zu empfangen. In der nachfolgenden Begrüßungsrede zeigt er sich mindestens so tief über den Zug beeindruckt wie ich mich einmal mehr über den Asam-Altar. Diesmal bin ich richtig angekommen!

Der Weg nach Pattendorf ist dann nochmals ein hartes Auf-und-Ab. Erinnerungen werden wach an die Kälte des letzte Jahres als ich hier nur allzugerne Handschuhe angezogen hätte. Heute haben ich eher ein Wärmeabfuhrproblem.

In Pattendorf erhalte ich dann doch noch eine Übernachtungsmöglichkeit. Ich habe voll auf meinen Pilgerführer vertraut und bin nicht enttäuscht worden. Eine betagte 90-jährige Dame nimmt mich Wildfremden und noch drei andere wie selbstverständlich in ihrem Bauernhaus auf. Wir können uns duschen, erhalten ein ausgiebiges Abendessen und ein sauberes Bett. Und natürlich ein Frühstück am nächsten Tag! Und alles will man uns so recht wie nur möglich machen. Das Vertrauen, das die Gastgeber in meine Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit setzen, ist vielleicht das Wertvollste, das ich an diesem Tage erleben durfte: es gibt doch auch etwas Gutes im Menschen.