Von Niedertaufkirchen bis Altötting

Um ein Uhr läutet der Wecker und reißt mich aus einem Tiefschlaf, der maximal 2.5 Stunden dauerte. Gott sei Dank ist der Abmarsch nach Altötting direkt vor unserem Haus, was uns zumindest die Zeit für eine Anfahrt erspart. Also genug Zeit zum Frühstück beim Theo!

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Oh Schreck! Nichts mehr da! Warten wir also bis der Nachschub eintrifft. Schnell wird mir klar, dass dies vergebens sein wird. In der Küche ist absolute Funkstille. Ja und der Theo, den ich nun leibhaftig vor mir habe, schenkt lieber eine Goaßmaß für seinen immer noch Karten spielenden Stammtisch ein, anstatt nochmals Kaffee zu kochen.

Ich brauche definitiv etwas zu essen. Ich schaffe zuerst einmal Platz auf einen Tisch und knalle das dreckige Geschirr dem nicht begeisterten Theo auf die Schenke. Schnell hole ich mir die letzten zwei Semmel aus verschiedenen Körben und finde noch zwei Käsescheiben, die optisch nicht gerade den appetitlichsten Eindruck machen. Aber in der Not frisst der Teufel seinen Hund. Ein Messer brauche ich nicht. Die Semmeln werden auseinandergerissen, und der Käse einfach hineingesteckt. Nach Schütteln verschiedener Kannen finde ich eine, die noch für eine volle Tasse gut ist. Eine saubere Tasse mit einem sauberen Löffel kommt von einem anderen Tisch. Somit steht meinem Frühstück nichts mehr entgegen. Sogar einen Joghurt finde ich noch unter einem Stapel Teller.

Dafür kriegt der Theo auch seine 3.50 Euro.

Als letzter Wallfahrer verlasse ich kurz vor dem Abmarsch um zwei Uhr mit einem lauten „Servus!“ die Gaststube. „Servus, kumm wieder!“ schallt es vom Stammtisch zurück.

Auf der B299 ist zu diesem Zeitpunkt wenig Verkehr. Ich nehme eigentlich gar nicht wahr, dass wir im Moment auf einer Bundesstraße wandeln. Eigentlich nehme ich gar nichts wahr.

Erst als ungefähr eine Stunde vor Sonnenaufgang mit dem Anzünden der Kerzen die Lichterprozession beginnt, kehrt mit dem Licht das Leben zurück. Die gymnastischen Übungen mit dem Heben und Senken der Kerzen in Abhängigkeit vom Refrain der Lieder sorgen nicht nur für tolle Lichteffekte, sondern erhöhen auch meinen Puls.

Danach geht es schweigend durch Winhöring. Es wird jetzt Zeit, dass wir ankommen.

Nach dem üblichen Prozedere gelangen wir schließlich zur Gnadenkapelle. Dort halte ich mich diesmal erst gar nicht lange mit Umrundungen auf und gehe schnell zur fast leeren Basilika, wo ich auf dem äußersten rechten Platz in der hintersten Reihe auf der rechten Seite mein ganz persönliches Ankommen feiere und genieße.

Von Neumarkt bis Altötting

In Neumarkt St.Veit geht es morgens um 02:00 Uhr auf die letzte Etappe. Seit 01:00 Uhr bin ich wieder auf den Beinen. Wieder nur drei Stunden geschlafen wie all die letzten Tage während der Wallfahrt! Jedoch haben sich meine Füße gut erholt! Nicht einmal die angehende Blase spüre ich wirklich!

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Bei milden Temperaturen und klarem Himmel setzt sich der Zug in Bewegung. Ansich ein Widerspruch, der sich nach der Hälfte der Strecke auflöst: es beginnt immer wieder leicht zu tröpfeln, der Himmel überzieht sich mehr und mehr, starker Wind kommt auf.

Bis Pleiskirchen werde ich nicht richtig wach. Ich versuche im Gehen zu schlafen. „Schritt für Schritt!“ erinnere ich mich jetzt an mein altes Ausdauermotto aus einem früheren Sportlerleben und konzentriere mich auf die momentan machbare Lösung dieses kleineren Problems. Ein paar tausendmal wiederholt wird mich dies zum Ziel bringen! Den Sonnenaufgang kriege ich nicht mit.

Ich bewundere noch einmal die Vorbeter, die die gleiche Strecke gegangen sind wie ich, aber immer noch konzentriert genug sind, ihr Programm würdig und fromm abzuspulen. Ohne ihre Disziplin würde der Zug sehr schnell zu einem Vandalenhaufen verkommen.

„Wer auf Wallfahrt geht, kommt nicht in den Himmel.“

Zwei Tassen Kaffee und zwei Quarkschnecken in Pleiskirchen bewirken ein Wunder. Ich bin pünktlich zum Abmarsch auf dem allerletzten Stück nach Altötting mit einem Schlag voll da. Dass mein Körper das alles so gut mitmacht, ist erhebend und beruhigend zu gleich. Noch bin ich nicht verloren!

Es wird kälter und kälter. Der Wind immer stärker. Immerhin kommt er meist von hinten und treibt uns förmlich auf das Ziel zu. Der einzige größere Regenschauer geht glücklicherweise während des Frühstücks im Gasthaus nieder.

Bald sind wir in der eintönigen Innebene: mit ihren Monokulturen nicht gerade ein Quell der Freude. Das Gebet aus den Lautsprechern konkurriert lange mit den Fahrgeräuschen von der nahen Autobahn. Wer die Natur geniessen will, braucht nicht unbedingt auf diese Wallfahrt. Die freudige Stimmung resultiert alleine aus der Nähe zum Ziel: am Horizont erhebt sich die Basilika St.Anna Altötting.

Und dann sind wir in Altötting. Zunächst einmal eine Stadt wie jede andere. Erst ab dem Franziskushaus ungefähr 1000 m vor der Basilika und der Gnadenkapelle wird sie zu etwas besonderem.

Zunächst fängt es ganz langsam mit der Blasmusik an. Dann wird das Spalier aus angereisten Angehörigen oder Zuschauern immer dichter. Freudiges Zuwinken und erste Tränen beim Wiedersehen! Altötting lebt den und lebt vom Mythos der Wallfahrt!

Aus besonderem Anlass des 325. Jubiläums der Wallfahrt ist die Madonna vor der Kapelle ausgestellt. Mir ist dieses besondere Ereignis gar nicht so bewusst während die Pupillen meiner frommen Begleiter leuchten wie die von kleinen Kindern beim Anblick der Geschenke unter dem Christbaum. Im Nachhinein erfahre ich, dass ich der Madonna hätte in die Augen schauen sollen.

Wir ziehen in der Basilika ganz nach vorne, setzen uns in eine Bank. Ungläubiges Staunen, wir sind am Ziel, wir sind angekommen und verweilen jetzt.

Eine Vielfalt der Freude: einzeln still und leise, sich um den Hals fallend, leises Lächeln und lautes Lachen, Schluchzen, Juchzen, Tränen. Bilder wie man sie sonst nur bei Olympiasiegern beim Umhängen der Goldmedaille erlebt!

Ich bin froh, dabei gewesen zu sein.

Ich verstehe Bayern und die Bayern noch besser. Was ein echter Bayer ist, muss an der Oberpfälzischen Fußwallfahrt teilgenommen haben.