Und tatsächlich ist es so! Nur spielt sich das ganze auch noch im Nebel ab!
Erst ab Hospital-de-Órbigo wird es lichter. Der weg führt Weg von der Straße in das Hinterland.
Die längste Brücke auf dem Camino Frances über den Rio Órbigo taucht aus dem heiteren Himmel auf.
Und schon stellt sich auf den letzten Kilometer wieder das befriedigende Feeling aus der Synthese von Natur, Geschichte, und körperlicher Anstrengung ein.
Bei meinen zahlreichen Wehwehchen war ich mir gestern abend gar nicht so sicher, ob ich mich heute von León nach Villadangos-del-Paramo auf die Socken machen kann. Doch wieder einmal verbringt die Nacht Wunder. Ich habe zumindest beim Start gute Beine.
Das Verlassen einer großen Stadt zu Fuß ist immer etwas ganz Nerviges. Immer auf der Hut vor plötzlich auftauchenden Hindernissen: rücksichtslose Autofahrer, auf Gehwegen parkende Paketdienste und Handwerker, an Engpässen überholende Joggerinnen und Hundekacke, die da bleibt, wo sie hinfällt, solange keiner reintritt! Blinde Fenster, vergilbte Gardinen, heruntergelassene Jalousien in Massenunterküften tun ein übriges.
Nur weg von hier!
Auf halber Strecke wartet die mobile Hütte mit einem heißen Tee neben dem Kirchturm mit Storchennestern. Welch eine schöne Überraschung!
So gestärkt geht es weiter, immer parallel zum brausenden Verkehr auf der Nationalstraße: bevorzugtes Terrain der Trucker, da nicht mautpflichtig im Gegensatz zur nahen Autobahn! Jetzt weiß ich, warum manche Pilger Ohrstöpsel tragen.
Das Stück bis Villadangos ist die schrecklichste Erfahrung meiner Jakobswegetappen: Autohof-Feeling pur.
Nur „Den Camino Frances ganz zu laufen“ kann die einzige Motivation sein.
Vor dem Aufbruch nach León ist im örtlichen Salon erst einmal Waschstunde angesagt. Nach dem Füllen der Maschinen gibt die Fahrerin die großzügige Freigabe für meinen Aufbruch.
Bis und durch Villamoros und Villarente geht es überwiegend direkt auf einem Seitenstreife einer Teerstrasse. Armes Wanderherz, was willst du mehr!
Dann erfolgt der Abzweig auf einen Schotterweg und später der Aufstieg zum Alto de Portillo.
Nach der Kuppe wird der Blick frei auf León mit der Kathedrale, einer ganz anderen Welt!
Bis zum Gotteshaus sind es aber noch einige schmerzhafte Kilometer durch Straßen- und Häuserschluchten, Zebrastreifen und Ampeln.
Eine Ankunft während der spanischen Siesta heißt Kathedrale geschlossen. So werde ich auf das Innere verzichten müssen. Das spart zumindest das Eintrittsgeld.
Für die Basilika des heiligen Isidors trifft das diesmal nicht zu, sie ist offen, eine nicht alltägliche Erfahrung!
Die Nacht war kalt am Dorfweiher in El-Burgo-Ranero. Raureif liegt auf den Dächern nach tiefen Minustemperaturen. Gut eingepackt geht es nach Mansilla-de-las-Mulas.
Mit einem Blick zurück über die gefrorene Lagune nehme ich Abschied.
Auf dem Weg nach Mansilla sehe ich heute zwei Radfahrer mit vor Kälte roten Gesichtern und eine Gruppe von fünf Mopedfahrern mit ihren ratternden alten Zweitaktern. Ich nehme niemanden auf Schusters Rappen wahr, zumindest niemanden in meiner Richtung. Dagegen kommen wir zwei entgegen.
Der erste taucht mit einem Müllsack auf und sieht es als seine Aufgabe, den Abfall der Pilger auf dem Camino zu beseitigen. Er outet sich als Franzose und gibt mir eine Karte mit einem frommen Gebet. Dann fragt er mich, ob ich ein Problem habe. Ich antworte, mein Innenminiskus hat einen Riß. Er bietet mir an, seine Hand aufzulegen und für mich zu beten. Das ist mir dann doch zu intim. Ich bin mir nicht sicher, ob das ehrlich gemeint ist oder nur eine Finte mit irgendwelchen Hintergedanken. Mit den besten gegenseitigen Wünschen trennen sich unsere Wege.
Den zweiten treffe ich kurz vor dem Zielort mit einer Gitarre, die eher einem bunten Bretterverschlag gleicht. Er ist Engländer, heißt Russel, ist 57, ist schon seit drei Jahren auf allen Caminos unterwegs und jetzt auf dem Weg zurück in seine Heimat. Und das ohne Geld! Es ist so hart!
Es folgt ein Mitleidstrigger nach dem anderen: er kann nicht mehr Gitarre spielen seit ihm jemand seine Finger gebrochen hat, deswegen hat er keine Einkünfte; er will heim zu seiner 84-jährigen Mutter, die ihn seit Jahren nicht mehr gesehen hat, dazu muss er sich aber kostenpflichtig gegen Covid impfen lassen, die Briten lassen ihn sonst nicht einreisen, er hat aber kein Geld; die Welt ist so schlecht, was will dieser Putin überhaupt, was wollte Angela Merkel und Obama überhaupt, alles nur Marionetten der Banken, die haben Geld; die spanischen Priester, auch die sitzen auf ihrem Gold in den zugesperrten Kirchen, alles geraubt in Südamerika, noch keinen Cent hat er jemals bekommen.
Er ist ein Schelm. Er hat die besten Jahre hinter sich. Ich bin überzeugt, es geht ihm wirklich nicht gut. So soll er halt einen Obolus für seine begehrte heiße Tasse Kaffee bekommen. Und ich komme endlich weiter!
Wieder hat die Fahrerin ein tollen Stellplatz vor der Stadtmauer in Mansilla gefunden.
Der Samstag startet nicht wie gewohnt mit dem Bananenmüsli im behaglich warmen Kasten. In der Nacht mit Minustemperaturen geht das Gas aus und lässt uns fröstelnd in unseren Betten erschauern.
Gott sei Dank ist es uns gelungen schon im Voraus eine spanische Gasflasche zu ergattern. Dies ist eine Bürokratie für sich. Warum wir dann doch eine und dazu ohne Pfand bekommen, verstehe ich auch heute immer noch nicht. Mit einer Gasflasche, voll oder leer, ist man im jeden Fall Teil des spanischen Gasversorgungssystems.
Der Austausch einer Flasche ist normalerweise einfach. Die deutsche und spanische haben aber einen inkompatiblen Anschluss. Jetzt wird es sich zeigen, ob das in Deutschland nach langer widersprechender Internetsuche erworbene Anschlussventil funktioniert. Ja es tut!
Nachdem ich die Bedenken meiner Fahrerin hinsichtlich einer Explosion zerstreut habe, mache ich bei Frost, aber frohen Mutes auf nach El-Burgo-Ranero.
Bis auf die Tatsache, dass ich auf einen Österreicher treffe, der sich bei einer Zigarette für den weiteren Marsch labt, sind keine großen Ereignisse zu vermelden.
Die Straße habe ich Kilometer weit für mich ganz allein!
Die Fahrerin hat den Van an der Lagune in El-Burgo-Ranero, einem fast verlandetem Weiher und Futterreservoir für die Dorfstörche , geparkt.
Zunächst schaut alles nach einem ruhigen Nachmittag aus. Wir genießen die Frühlingssonne und beobachten die Störche bei der Nahrungssuche.
Dann ist die Siesta vorbei. Zunächst setzt sich ein älterer Herr auf eine Bank neben uns. Dann werden es mehr und mehr. Jeder redet mit jedem. Leider verstehen wir nichts!
Sie lassen sich auch durch den Dorfdeppen nicht erschrecken, der mit seinem Auto herum brausend das ganze Dorf beschallt.
Selbst der Bauer, der die Geländegängikeit seines schweren Fendt nach getaner Feldarbeit in der geschützten Lagune austestet, scheint ganz normal.
Die Seniores machen sich bei Sonnenuntergang auf dem Weg nach Hause und wir in den wieder warmen Kasten.