Von Ingenbohl bis Stans

(Ingenbohl/Stans, Samstag, 09.06.2012)

Als ich am Samstagmorgen im Mutter Theresa zum Frühstück auftauche, wartet die Schwester schon leicht bekümmert: Alle anderen Gäste sind schon aufgebrochen. Doch bald wird sie auch mich aus dem Haus haben!

Heute soll es auf der Südseite des Vierwaldstättersees von Treib nach Stans gehen. Dazu muss ich die Fähre von Brunnen nach Treib benutzen. Der rote Faden von meinem Geburtsort zum Ende der Welt wird daher an dieser Stelle unterbrochen: ich konnte mich nicht überwinden, sechzig Kilometer Umweg um den Urner See in Kauf zu nehmen. Auch konnte ich mich nicht dazu durchringen, den See zu durchschwimmen.

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Das Nieseln auf dem Weg zur Brunnener Fähranlegestelle und die tief hängenden Wolken über dem See lassen nichts Gutes erahnen. Doch sollte es zumindest für den Nachmittag besser werden. Ja, ich bekam sogar einen leichten Sonnenbrand auf den Armen.

Das war auch bei der Ankunft in Treib noch nicht abzusehen. Die wild romantische Schönheit wirkt da auf mich nicht gerade Stimmung fördernd. Der Mensch scheint doch ein ausgeprägtes Bedürfnis nach Trockenheit zu haben.

Es geht bergauf nach Seelisberg. Irgendwo auf einer Wiese namens Rütli in der Nähe sollen die Urschweizer den gleichnamigen Schwur gesprochen haben wie aus Schillers Wilhelm Tell bekannt. Ich will sein ein einzig Volk von Brüdern. Mir reicht, wenn es zu regnen aufhört.

Was treibt einen Menschen dazu, auf einen Berg zu steigen? Dabei kann es in der Schweiz so bequem sein. Nahezu überall fährt eine Bahn hoch.

Natürlich kann man nicht solche Ausblicke genießen wie vom Pfad in der Felswand über Beckenried. Vor dem Genuss steht allerdings ein gewißer Grad an Schwindelfreiheit. Sonst bewirken einige exponierte Stellen gegenteilige Gefühle. Die angebrachten Sicherungen sind teilweise nicht mehr sehr vertrauenswürdig.

Der Abstieg von Emmeten nach Beckenried in der direkten Fallline parallel zu einem Sturzbach ist natürlich wieder eine Tortur.

Ab Beckenried wird es dann plötzlich warm. Und das Stück direkt am See entlang wird zu einer reinen Genusstour. Ach wie schön, dass es warm, trocken und eben ist!

Vor Stans geht es im zivilisierten Rahmen dann nocheinmal bergauf und bergab. Die Ausblicke lassen jedoch Schweiz-Postkarten-Feeling aufkommen.

Dann ist Stans erreicht.

Von Einsiedeln bis Ingenbohl

(Einsiedeln/Ingenbohl, Freitag, 08.06.2012)

Kurz nach neun Uhr komme ich am Freitagmorgen wieder am Einsiedelner Bahnhof an für den nächsten Teilabschnitt zum Finis Terre mit dem Ziel Fribourg. Eine abenteuerliche Anreise von München über Ulm, der Schwäbischen Eisenbahn nach Friedrichhafen, und dem Schiff über den Bodensee nach Romanshorn liegt bereits hinter mir. Eine ziemlich schwere Etappe nach Ingenbohl über den Hagenegg mit 1455 Metern immerhin der höchste Punkt der Schweizer Jakobswege habe ich noch vor mir.

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Der Wettergott scheint noch einmal ein Erbarmen zu haben. So hört es nach Verlassen von Einsiedeln zum Regnen auf. Dafür fängt es beim Kloster Au aus allen Kübeln zu schütten an. Und bis zur Ankunft am Abend in Ingenbohl soll es nicht mehr aufhören.

Bis Alpthal klappt es ganz gut unter dem Regenschirm. Doch beim Aufstieg zum Hagenegg in der direkten Falllinie parallel zu einem herabstürzenden Bach kann ich mir diesen Luxus nicht mehr leisten. Aber es ist sowieso egal, ob ich vom Regen oder vom Schweiß nass bin.

Dann steht auch noch eine Überquerung des Gewässers an. Ansonsten ein Rinnsal ist er jetzt kniehoch angeschwollen. Und ich muss dadurch ohne den Grund mit den Steinen zu sehen und einem schweren Rucksack auf dem Buckel! Ich sehe mich schon in der vertikalen Lage. Meine Stiefel geben mir aber einen guten Halt und, obwohl unter Wasser, bleiben sie innen trocken. Das Produkt hält, was die Werbung verspricht Trotzdem ist mir das immer noch ein Rätsel.

Bis zum Hagenegg geht es in einem Nebelband. Obwohl die Mythen sich in unmittelbarer Nähe befinden müssten, ist nichts von ihnen zu sehen. Erst bei einer kurzen Pause klart es auf, und die Mythenwand liegt unmittelbar vor mir. Welche Ausblicke sind mir entgangen?

Kann man den Aufstieg noch als sportliche Herausforderung ansehen, ist der Abstieg mit 1000 Metern Differenz (!) nach Schwyz in einem als Weg umfunktionierten Bachbett eine einzige Schinderei. Die Schönheiten des Ortes sind mir daraufhin ziemlich Wurst. Einzig ein Supermarkt mit Futter weckt mein Aufmerksamkeit.

Erschöpft gelange ich zu meiner heutigen Bleibe,dem Gästehaus Mutter Theresa des Klosters Ingenbohl. Wer hätte das gedacht, dass sich eine Schwester einmal um mein Nachtlager kümmert? Recht herzlichen Dank!

Von Schmerikon bis Einsiedeln

Schmerikon/Einsiedeln, Donnerstag, 06.10.2011)

Schiffchen fahren in Schmerikon nur sonntags. Deshalb fällt die Seerundfahrt auf dem Züricher See am Mittwoch aus. Neben Schlafen verbringe ich den Tag mit der Planung der nächsten Etappen und schon der Heimreise. Wer weiß schon, wann ich wieder einen so einfachen Internetzugang erhalte wie im Hotel Seehof.

Um genug Zeit zum Genießen und für ein Mittagsschläfchen unter einem Baum zu haben, will ich mir für die Etappe nach Einsiedeln zwei Tage genehmigen. Nach Studium der Unterkunftspreise in Lachen als potentiellen Übernachtungsort kehre ich wieder zur Eintagesvariante zurück.

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Früh breche ich am Bahnhof Schmerikon nach Osten auf. Ich werde den See umgehen und nicht bei Rapperswil über den Damm queren. Oh wie schön, dass ich wieder laufen darf!

Die Schmerikoner Aa überquere ich an der überdachten Brücken. Keine Ahnung warum dies sein muss!

Die Linthbordkapelle erlaubt eine stille Einkehr!

Auf der Bank an der Kapelle St.Jost bei Galgenen mache ich richtig Brotzeit.

Hinter Lachen geht es aufwärts über einen Grat zur Johannisburg. Am Südhang wird Wein angebaut:leider sind alle Reben im Frühjahr erfroren. Der Norden lässt nach Rapperswil blicken.

Bald geht es steil und lang zum Etzelpaß mit der Meinradskapelle. Als ich sie betrete, ist es noch wunderbar warm. Beim Verlassen hingegen überraschend kühl. Eine Kaltfront ist eingetroffen. Noch hat die kalte die warme Luft in den tieferen Lagen nicht verdrängt. Zweifellos wird sich das Wetter aber ändern.

Noch kann ich die Mythen erkennen. Irgendwo davor liegt Einsiedeln in der Tiefe.

Noch ist es aber ein Stück über ein ziemlich kupiertes Gelände. Die Zeichen für die Nähe des Wallfahrtortes mehren sich. In einer Hütte am Wegrand hat schon mancher seinen Sorgenstein und sein Kreuz liegengelassen.

Und dann stehe ich doch endlich nach tagelanger Wanderung wie tausend andere zuvor an der Kirche auf dem großen Platz, zwar zu renovieren aber trotzdem imposant.

Dem Inneren werde ich mich morgen widmen. Für das erste suche ich Zuflucht im Sankt Joseph. Als ich in meinem Zimmer das Fenster öffne, fängt es zu regnen an. Und es wird die nächsten Tage nicht mehr aufhören.

Den folgenden Freitag verbringe ich mit einer Besichtigung des Klosters. Die Bibliothek ist schon sehr eindrucksvoll und zeugt von seiner großen Vergangenheit. Ich nehme an der Trauerfeier für einen verstorben Mönch bei. Wenn da an die dreißig Benediktinern mit rituellen gregorianischen Gesang und tief in das Gesicht fallenden schwarzen Kapuzen vor den offenen Sarg ziehen, wird es einem schon ganz anders. Einheimische weisen mich in die Geheimnisse der Gruft ein, die nur zu solchen Anlässen geöffnet wird.

Zum Samstag geht der Regen teilweise in Schnee über. Nach Rat von Einheimischen will ich mir die Etappe über den Hagenegg unter diesen Bedingungen in diesem Jahr nicht mehr antun.

Im Frühsommer 2012 soll es weitergehen auf dem Jakobsweg durch die Schweiz. In weiteren sieben Etappen bis nach Fribourg versuche ich dem Ende der Welt wieder ungefähr 220 km näher zu kommen. Starten werde ich mit der Etappe von Einsiedeln nach Ingenbohl.

Von Sankt Peterzell bis Schmerikon

Sankt Peterzell/Schmerikon, Dienstag, 04.10.2011)

Am Dienstagmorgen breche ich von Sankt Peterzell über Wattwil nach Schmerikon auf. Dies ist das erste Mal, dass ich kein Zimmer für die Nacht habe. Mein Quartier wird das Nächstbeste nach 15 Kilometern sein. Am Ziel müde lange auf Bettsuche gehen zu müssen, wäre das Drittschlimmste.

Das Zweitschlimmste ist ein Hungerast. Dem vorzubeugen ist nach fünfhundert Metern beim Dorfladen schon Pause für ein zweites Frühstück angesagt. Das erste im Gasthof war gelinde gesagt nicht ausreichend.

Das Schlimmste wäre eine Blase. Momentan brauch ich mich darum nicht zu sorgen.

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Nach Sättigung verlasse ich Sankt Peterzell auf dem Ostschweizer-Jakobsweg an der ehemaligen Pilgerherberge Bädli.

Der folgende Anstieg zeigt sofort, dass der heutige Tag kein leichter wird. Nach einem letzten Blick zurück geht es in der Höhe auf und ab unter anderem auch durch mehrere Tobel. Freilich entschädigen jede Menge Eindrücke.

Der Abstieg nach Wattwil erfolgt in der direkten Falllinie auf vom Morgentau glitschigen Wiesen. Ich hasse abwärts gehen!

Bis auf Ali Baba gibt es keinen Grund länger in dem Ort zwischen zwei Eisenbahntunneln zu verweilen. Sofort beginnt der Aufstieg zur Iburg auf der gegenüberliegenden Seite, der jäh durch eine Sperre aufgrund von Renovierungsarbeiten unterbunden wird. Gott sei Dank waren die Höhenmeter nicht umsonst, denn der Jakobsweg über den Unteren und Oberen Laad führt auf der anderen Seite der Ruine auf gleicher Ebene weiter.

Ein Plakat wirbt für Schlafen im Stroh. Leider noch etwas zu früh! Ansonsten hätte ich das glatt mal ausprobiert. Von weitem sieht der Bauernhof ganz einladend aus. Hätte ich bloß gewusst, dass sich bis zum Züricher See keine Alternative mehr auftut!

Immer noch geht es bergauf bis dann eine kleine Hütte mit Klimaanlage völlig unerwartet zur Selbstbedienung einlädt. Im Kühlschrank findet sich eine große Auswahl von Getränken. Auch Eiskrem wird angeboten. Insbesondere befindet sich dort auch ein leeres Gurkenglas, das als Kässli bezeichnet wird, zur Aufnahme des monetären Gegenwertes, den zu bestimmen, der Betreiber dem Käufer überlässt: Ich orientiere mich an den Preisen des Ali Baba von Wattwill.

Die Hütte steht an einem Ort mit den vielversprechenden Namen Heid. Sie markiert den höchsten Punkt des Landübergangs zwischen Thurtal und Linthgebiet. Der Blick ins Tal ist einmalig. Ich mache eine ausgedehnte Pause.

Der Abstieg von der Heid führt durch einen Truppenübungsplatz der schweizerischen Armee. Rekruten sitzen in einer Wiese beim Waffendrill. Gelegentliche Gewehrsalven durchdringen die Stille. In der Schweiz fällt es keinem ein, die Wehrpflicht abzuschaffen.

Lang zieht sich nun der Weg zum Züricher See. Nirgendwo eine Gelegenheit zu übernachten! Ich werde das nun doch durchziehen!

Bis der Blick auf den See von Goldberg über Schmerikron freigegeben wird, erfolgt ein dreidimensionaler Slalomlauf mit Über- und Unterquerungen von Autobahnen und Talbrücken unter entsprechender Geräuschkulisse.

Beim kurzen, aber schmerzvollen Abstieg beschließe ich für morgen einen Ruhetag, den das Hotel Seehof Gott sei Dank heute nicht hat.

Von Appenzell bis Sankt Peterzell

(Appenzell/Sankt Peterzell, Montag, 03.10.2011)

Die Nacht zum Montag verbringe ich im Hotel Tübli, Raum 21. Und wie es sich für ein Taubenhotel gehört eher in einem Tübli-Schlägli (von Taubenschlag) als in einem Zimmer. Da ist ein Bett und ein enger Zugang, der nebenbei auch noch das Waschbecken aufnimmt. Auf jeden Fall kann es Quadratmeter-Zimmerpreis-Verhältnis mit jedem Luxushotel aufnehmen.

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Nach dem Frühstück, bei dem ich ohne Nachfragen glatt eine zweite Tasse Kaffee erhalte, starte ich bei Sonnenschein und klarer Sicht auf dem Appenzeller Jakobsweg nach Sankt Peterzell. Über Wiesenpfade geht es aufwärts mit wunderbaren Blicken auf die Gipfel und zurück ins Tal. In Gonten und Gontenbad will ich mich eigentlich verpflegen, aber am Montag schließt nicht nur die Gastronomie, sondern auch die ortsansässige Ladenwelt.

So geht es mit einem ziemlichen Knurren im Magen abwärts nach Urnäsch. Dort ist dann das Wirtshaus zum Engel offen. Es überrascht mich nicht mehr, dass statt einem Schweizer eine nette Niederländerin bedient.

Gestärkt geht es nach Urnäsch gleich steil bergauf. Oben angekommen heißt es mit einem Blick zurück Abschied nehmen vom Appenzeller Land.

Der Appenzeller Weg verläuft nun bis Sankt Peterzell fast immer auf geteerter Straße. Das stört mich nicht weiter, denn das Verkehrsaufkommen ist gering. Zweifellos komme ich auch sehr viel schneller und bequemer voran als auf Wiesenpfaden.

Schon eine halbe Stunde vor dem Tufenberg vernehme ich einen Superkuhglockensound aus der Höhe. Kurz vor dem Übergang zum Schöngrund erkenne ich dann als Ursache eine Kuhherde, die nicht nur die Glocken in einer, sondern in einer Vielzahl Größen trägt. Beim Abreißen des Grases werden so individuell die unterschiedlichen Töne erzeugt, die sich zufällig aber harmonisch immer wieder zu neuen Akkorden zusammensetzen. Die Kuhherde feuert ein wahres Konzert ab. Mein tiefster Respekt gilt dem unbekannten Bauern für die Auswahl und Zuordnung der richtigen Glocke zur richtigen Kuh. Ein wahrer Komponist und Dirigent!

Auf dem Tufenberg markiert ein altes Wirtshaus den Passübergang. Der Zustand lässt mich zweifeln, ob es noch betrieben wird.

Vom Tufenberg geht es runter nach Schöngrund. Gott sei Dank gibt es an jeder Ecke Tränken mit Trinkwasser, denn auch in Schöngrund steht keines der vielen Wirtshäuser zum Durstlöschen zur Verfügung. Und woraus eine Kuh säuft, trinke ich allemal!

Der restliche Weg auf der alten Autostraße bis kurz vor Sankt Peterzell fällt dann bis auf eine Hundattacke unter die Rubrik Abhacken. Das kurze Durchqueren des Neckertales sorgt dann noch für einen schönen Abschluss.