Von Augsburg bis Bobingen

(Augsburg/Bobingen, Freitag, 01.04.2011)

Das dreitägige Pilgerwochenende führt uns vom Augsburger Hauptbahnhof meist der Wertach entlang nach Türkheim. Für den heutigen Freitag ist Bobingen anvisiert.

Oh Schreck! Gleich geht es mal durch den langen Tunnel unter dem Bahnhof hindurch. Viele grelle Farbkleckse an den Wänden sollen auflockern, stressen jedoch fast noch mehr. Dann erklingt klassische Musik und ich empfinde die Penetration beinahe als Bereicherung!

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An unzähligen Schrebergärten vorbei geht auf dem Wertachdamm entlang. Das waren noch Zeiten als das Ziel sozialer Politik war, jedem Arbeiter sein Gärtchen zu sichern. Augsburg war (wahrscheinlich) einmal rot!

Die Zeiten haben sich nicht nur da geändert. Manches Hochwasser hat inzwischen nachgewiesen, dass die schnurgerade Kanalisierung der Wertach wohl nicht der Weisheit letzter Schluß ist. Und jetzt wird renaturiert, was zu renaturieren ist.

Zu Mittag machen wir Rast an einer neu angelegten Stromschnelle und können einen Fliegenfischer dabei beobachten wie er serienweise die Viecher aus dem Wasser zieht. Die Unterwasserwelt scheint also noch oder schon wieder in Ordnung zu sein. Oder haben die Tiere schon gelernt, dass für den Angler nur das Fangerlebnis zählt, und sie am Schluß mit dem Köder im Magen sowieso wieder im Nass landen?

Vom Kraftwerk Inningen aus mit dazugehörigen Stausee lässt sich auch schon unser heutiges Ziel in der Ferne erahnen.

Alles wäre heute leicht gewesen, wenn sich die Füße meiner Begleiterin nicht urplötzlich entschieden hätten, auf ihre Socken allergisch zu reagieren. Auf jeden Fall war das Rot in der Unterführung des Augsburger Bahnhofes matt im Vergleich zu dem, was auf den Sohlen, um die Fersen und die Knöchel sowie auf dem Rist gleichsam glühte. Glück im Unglück: die Bobinger Station war nicht mehr weit. Nach Augsburg mit dem Zug!

Von Biberbach bis Augsburg

(Biberbach/Augsburg, Samstag, 19.02.2011)

„Pilgerst Du schon, oder wanderst Du noch?“ stand irgendwo im Internet. Zu dieser Etappe von Biberbach nach Augsburg auf geteerten Fahrradwegen fast immer entlang von Autostraßen und sogar der Autobahn kann ich nur feststellen: „Ich bin nur gegangen, ich bin nicht einmal gewandert.“

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Das Gehen ist hier das mechanische Setzen eines Fußes vor dem anderen in aufrechter Körperhaltung zur Überwindung einer Strecke zwischen einem Start- und einem einem Endpunkt ohne Zugang zu emotionalen oder gar transzendenten Sphären.

Beim Wandern erwartete ich schon die ein oder andere zu einem freudigen Gefühl führende Ausschüttung von Hormonen.

Beim Pilgern über mehrere Etappen ist das nicht immer garantiert und gegeben, es gibt auch Leerlauf. Der Umgang mit diesen Krisen macht den Unterschied. Reagiere ich gelassen, dann pilgere ich. Ansonsten wandere oder gehe ich. Insofern pilgerte ich heute das erste Mal. Der Weg ist das Ziel.

Die Strecke führt zumeist auf dem ausgeschilderten Jakobsweg. Mein Weg folgt ab Gersthofen nicht dem offiziellen entlang des Lechs, sondern führt parallel dazu auf der Donauwörther Straße in die Augsburger Innenstadt. Ich glaubte, so mehr von Augsburg mitzunehmen. Ob dem wirklich so ist, kann ich nicht sagen.

Von Donauwörth bis Biberbach

(Donauwörth/Biberbach, Samstag, 12.02.2011)

Zur nächsten Etappe meiner Wochenendpilgerfahrt zum Finis Terrae kehre ich nach Donauwörth zurück. Dieses Mal von München aus, wieder mit der Deutschen Bahn, aber pünktlich! Am Abend soll es dann wieder zurückgehen, und das heißt: nach der regulären Ankunft in Biberbach auf dem Augsburger Jakobsweg noch ein Marsch zur nächsten Regional-Express-Haltestation nach Herbertshofen!

Für richtiges Pilgern ständig weg von den gewohnten Lebensmittelpunkten fehlt die Zeit: irgendwie muss das tägliche Brot verdient werden. Leider gibt es einem der Vater unser im Himmel nicht von sich aus. Und schließlich habe ich ja auch noch meine liebe Frau. Sie würde mich nur allzugerne begleiten, was ihr verletzungsbedingt nicht möglich ist. Ihre Kommentare zu meinen Alleingängen werden leider zunehmend kritischer.

Donauwörth – Rieder Tor

Donauwörth ist ein hübsches Städtchen. Ich mache deshalb bewusst einen kleinen Umweg vom Bahnhof durch das Reichstor und die Innenstadt zum eigentlichen Ausgangspunkt der Etappe, der Brücke am Hotel Donau. Über meinen Arbeitsgeber bin ich mit dem Ort latent verbunden. Langezeit ohne Bedeutung wird dies aufgrund seiner strategischen Absichten zum Wohle des Unternehmens dramatisch. Eigentlich dürfte es mir hier nicht gefallen! Vielleicht wird alles gut.

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Bis Mertingen zieht sich der Weg über die flurbereinigten Ausläufer des westlichen unteren Urlechtales. Nicht nur ein Leidensweg wegen der schneidenden Kälte!

Danach eine Andeutung von Landschaft mit Hügeln, Busch- und Baumgruppen. Die Schmutter hat sich tief eingegraben. Offensichtlich ist es nicht gelungen, das dazugehörige Steilufer einzuebnen. Labsal für die Seele! Bei Druisheim wird dann sogar eine Fischsteige neu inszeniert. Hat das mal wirklich hier so ausgesehen?

Bis zum Kloster Holzen führt der Weg dann freilich wieder an kanalisierten Gewässern entlang. Doch dort tauche ich in eine andere Welt. Vorbei an dem kleinen Nonnenfriedhof mit seinen bescheidenen Holzkreuzen führt nur eine einzige Spur im Tage alten Schnee den Treppenaufgang hoch. Keine einzige Menschenseele auch im großen Klosterhof! Vergeblich suche ich bei einem Rundgang nach Menschen in dieser baulichen Pracht. Der einladende Klosterbräu beweist, dass hier meistens mehr los sein muss. Aber jetzt ist nur Stille! Momentan gehört das Kloster mir ganz allein!

Kloster Holzen

Beim Öffnen der Kirchentüre flutet Helligkeit. Die unbemalten Figuren aus Porzellan reflektieren das Licht aus den Fenstern und verteilen es im Kirchenschiff im Gegensatz zu vielen Räumen ähnlicher Art, bei dem man glaubt, ein Reich der Finsternis zu betreten. Selten hat mich ein Kircheneintritt so beeindruckt. Um so überraschter bin ich, dass dieser Leben verheißende Raum auf den zweiten Blick nichts anderes ist als eine Reliquienstatt. In jedem Seitenaltar befindet sich ein prachtvoll bekleidetes Heiligenskelett oder eine Flächen füllende Knochencollage. An sich haben diese Dinge etwas Verstaubtes und Muffiges. Dieser Raum gibt ihnen Frische. Selten habe ich mich in der Nähe von Leichenteilen so wohlgefühlt. Bisher hatten mich immer nur die Jahrhunderte alten, gut erhaltenen Heiligenzähne im Kontrast zu den meinigen beeindruckt.

Kloster Holzen – Kirche

Beim Verlassen der Kirche ist immer noch keine Seele zu sehen. Ich gehe aus dem Hof, um den Weg an der Klostermauer entlang nach Süden fortzusetzen. Wären da nicht plötzlich drei grinsende Gestalten mit einem Leiterwagen auf mich zugeschossen, hätte ich den Besuch auf Kloster Holzen abgeschlossen, ohne jemanden zu sehen. Sie sind genauso überrascht und erfreut wie ich. Drei Behinderte aus dem nahen Heim sind offensichtlich mit einem wichtigen Transport beauftragt.

Im Tal geht es weiter. Kurz vor Blankenburg sehe ich auf einer Koppel Maultiere stehen. Tatsächlich überlege ich mir ein solches zuzulegen. Es könnte meinen Rucksack tragen. Zusätzlich könnte es ein Zelt tragen, und mir die Hotelkosten oder die Übernachtungen in Refugien ersparen. Spinnen muss erlaubt sein!

Blankenburg – Esel

Zur imposanten Burg Markt geht es wieder bergauf. Doch ein pflichtbewusster Golden Retriever verwehrt mir den Zugang zu dem Gemäuer. Neugierig kommt er aus seinem Hoheitsgebiet, genießt meine Streicheleinheiten. Als ich ihm den Hals kraule, legt er sich sogar auf den Rücken. Ich glaube ihn auf meiner Seite und versuche mit ihm ihn streichelnd auf das Burggelände zukommen. Doch Pech gehabt! Genau im Torbogen baut er sich wieder laut bellend vor mir auf. Ich gebe auf und lasse ihm seinen unbestechlichen Willen!

Burg Markt – EIngang
Burg Markt

Beim Blick zurück auf die Burg Mark stellt sich die in Bayern wichtige Frage, ob der Wachturm oder der Kirchturm höher ist. Das ungeschriebene Gesetz lautet, kein anderes Gebäude darf einen katholischen Kirchturm überragen. Das scheint hier anders zu sein.

Dann liegt auch schon Biberbach vor mir. Lang zieht sich der Weg zur Wallfahrtskirche. Um geistig anzukommen verweile ich dort eine längere Zeit.

Der weltliche Teil sollte im Anschluss im benachbarten Gasthaus erfolgen. Nach einem Tag an der frischen Luft will ich mir eine Gaststube hinter vergilbten Gardinen nicht antun. Zumal eine Nahrungsaufnahme nicht erforderlich erscheint, mache ich mich direkt auf den Weg nach Herbertshofen und München.

Von Rennertshofen bis Donauwörth

(Rennertshofen/Donauwörth, Samstag, 27.01.2011)

Auf zur fünften Etappe Finis Terrae! Raus aus Rennertshofen, an Bertoldsheim vorbei, durch Neuhausen, Schweinspoint und Kaisheim hindurch nach Donauwörth hinein.

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Der flurbereinigte Ackerbau nördlich von Bertoldsheim lässt wenig Pfähle oder Stämme für die Jakobsweg-Markierungs-Muschel. Es braucht entweder ein wenig gesunden Menschenverstand oder wie bei mir ein GPS, das einen auf den rechten Weg führt. Am Schluß hat auch die größte bisher gefunden Markierung an einem Strommasten ein wenig geholfen!

Bertholdsheim – Markierung

Trotzdem gelange ich durch Neuhausen nach Schweinspoint mit seinem Johannesstift mitten in der Landschaft. Der Traktorverkehr bei meiner Ankunft ist auffallend. Das ganze Dorf scheint unterwegs. Die große Ansammlung in der Ortsmitte halte ich für die Verabredung zu einer Treibjagd. Hoffentlich nicht auf Wanderer! Später überholt mich der Tross von bestimmt mehr als zwanzig Dieselrossen am Ortsausgang und ich fürchte schon, dass mein Weg durch das Jagdgebiet ihrer Wahl führen wird. Im Wald treffe ich tatsächlich wieder auf die Gesellschaft. Aber nicht beim Treiben, sondern beim gemeinschaftlichen Sägen, Hacken, Pflöcken, Holzschlichten! Und das mit einen Eifer, als ob sie dafür direkt in das Himmelreich eingingen. Funktionierende Dorfgemeinschaft bei der Pflege des gemeinsamen Eigentums? Fortführung des mittelalterlichen Frondienstes für das Kloster???

Schweinspoint – Treiben im Wald

Es wird jetzt immer kälter und ich beginne, in den Fingern zu frieren. Jetzt beschäftige ich mich nur mit der Frage, soll ich meine Handschuhe anziehen oder nicht? Ich entscheide mich am Schluß für Nein, weil ich ansonsten anhalten müsste, um sie aus meinem Rucksack zu holen.

Nach Kaisheim führt der Weg wiederum über kilometerlange, schnurgerade Forstwege. Mit den Erfahrungen der letzten Etappen rätsle ich über die Kriterien bei der Auswahl der Route für den Ostbayerischen Jakobsweg. Auf jeden Fall freue mich ab sofort überjeden Nicht-Forst-Kilometer.

Denn Forst ist nicht Wald! Der Ostbayerische Jakobsweg ist nicht historisch gewachsen. Er ist auf der Landkarte designed, mit dem Ziel dem lokalen Tourismus auf die Beine zu helfen. Das ist legitim. Trotzdem braucht eine Pilgerroute auf die Dauer ein Charisma. Die Zukunft wird zeigen, ob diese Route es entwickelt.

In Kaisheim befindet sich auf dem ehemaligen Klostergelände ein Gefängnis. Kontraste wie dieser mögen dabei behilflich sein.

Kaisheim -ehemaliges Kloster
Kaisheim – Blick zurück

Nach Donauwörth ist der Forstweg natürlich die erste Wahl! Die Ankunft dort ist ein freudiges Ereignis. Der erste kleine Meilenstein ist erreicht und wird im Goldenen Hirschen mit einem schwäbischen Gericht aus Zwiebelrostbraten mit Käsepatzen gefeiert. Wirklich Klasse war der anschließende Eiskrapfen und die überbackenen Marzipanzwetschgen als Nachspeise.

Donauwörth

Bald soll es auf dem Augsburger Jakobsweg weitergehen.

Von Eichstätt bis Rennertshofen

(Eichstätt/Rennertshofen, Samstag, 20.01.2011)

Nach der ersten Arbeitwoche im neuen Jahr bin ich reif für meine vierte Etappe zum Ende der Welt von Eichstätt über Bergen nach Rennertshofen.

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Mit der Deutschen Bahn kehre ich zum Start nach Eichstätt zurück. Das geht natürlich nicht wie geplant, sondern nur mit Verspätung. So mache ich mich erst nach dem Mittag auf dem Weg. Klar werde ich mein Ziel erst nach Anbruch der Dunkelheit erreichen. Vielleicht muss ich sogar vorher abrechen.

Von Bahnhof aus geht es gleich steil bergauf auf den Frauenberg. Ein schöner Rückblick entlohnt für die Mühe.

EIchstätt vom Frauenberg

Das ganze Altmühltal ist an diesem Wochenende überschwemmt. Die nicht alltägliche Szene zeigt sich auch auf der der Stadt gegenüberliegenden Seite des Frauenbergs.

Eichstätt Hochwasser

Mit den Ausblicken ist es dann vorbei. Es geht in den Wald. Daneben werde ich bis Bergen nur einen Bahnkörper und zwei einsame Gehöfte sehen. Im Nirgendwo taucht dann das Dorf mit der überdimensionierten Kirche aus dem Urdonautal auf. Bei aller inneren Pracht scheint es für einen Turm außen nicht mehr gereicht zu haben.

Wallfahrtkirche Bergen

Die Kirche dient der Verehrung des Heiligen Kreuzes. Zu meiner Schande sagt mir das nicht sehr viel. Auf dem Deckenfresko scheinen jedoch katholische Pfarrer als terrestrische Repräsentanten zusammen mit einem himmlischen Engel unter wohlwollender Leitung einer gut gekleideten Gestalt im Bischofsornat ein wahrscheinlich ganz besonderes Kreuz vor einer Kalamität zu bewahren. Die Message ist wohl: “ Ach wie gut, dass es Priester und Bischöfe gibt!“

Gott sei Dank ist da auch noch eine Krippe. Die Geschichte, die sie erzählt, erschließt sich mir einfacher. Deshalb werde ich mehr und mehr zum Krippenfan!

Bergen Krippe

Der weitere Weg führt an den Abbaustellen der Neuburger Kieselerde vorbei direkt in die Dunkelheit. Der zunehmende Mond in der klaren Nacht leuchtet aber ausreichend. Leider kann ich eine Höhle bei Mauern und die Wachholderhänge vor Rennertshofen nur noch schemenhaft erkennen. Aber ich komme ja wieder.

Mauern Sonnenuntergang