Via Bavaria

Am Neujahrstag 2011 starte ich mit guten Vorsätzen von Riedenburg, dem Anfang der Welt, zum Pfänder am Bodensee durch das südwestliche Bayern mit den ersten siebenzehn Etappen zum Ende der Welt.

In Tageswanderungen mit täglicher Anreise/Abreise zum/vom Start/Ziel gelange ich von Dahoam bis nach Augsburg.

Mit zunehmender Entfernung erweist sich dies nicht mehr als praktikabel. Zentral von Augsburg nehme ich daher die täglichen Strecken bis Türkheim unter die Füße.

Ab Türkheim bis Bregenz übernachte ich für eine Woche an meinem jeweiligen Zielort. Nicht nur das Ankommen, sondern das Verbleiben verstärkt das Erlebnis ungemein.

Von Simmerberg bis Pfänder

(Simmerberg/Pfänder, Samstag, 07.05.2011)

Ab und zu durch veredelnde Attribute ergänzt haben traditionelle Gasthäuser im Allgäu im Grunde nur drei Namen: Adler, Kreuz, und Krone. Am Montag und Mittwoch übernachtete ich in einem Goldenen Kreuz, am Donnerstag in der Weitnauer Krone, vom gestrigen Freitag auf heute in der Simmerberger Krone.

Von dort breche ich zur Abschlussetappe auf den Pfänder auf.

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In Weiler folge ich den Jakobsweisern. Überraschenderweise führen die aber vom Pfänder weg. Ich weiß nicht wohin. Aber nach einem Kilometer beschließe ich, schnellstmöglich wieder auf meine vorgeplante Route zurückzukehren. Schöne Bergwiesen mit einem bunten Blumenteppich sowie plastische Ausblicke in die immer näher kommenden Alpen mit immer noch schneebedeckten Gipfeln und Graten kompensieren die paar Kilometer Umweg.

In Scheidegg sehe ich dann wieder einen Jakobsweiser. Er zeigt in die Richtung aus der ich komme. Dorthin will ich nicht, sondern ins Scheidegger Zentrum zu einer Pizza Calzone mit einem gemischten Salat. Dazu zwei Apfelschorle! Meinen Körper dürstet es nicht mehr nach Weißbier, ein Wunder ist geschehen.

Mit vollem Magen geht es auf den Pfänderhöhenweg. Vor einem Hungerast brauche ich mich heute nicht zu fürchten. Doch mein Körper erinnert sich daran, dass ich gestern um die gleiche Zeit ein Mittagsschläfchen hielt. „Heute nicht, mein Lieber. Das Ziel ist nah.“

In der Ferne grüßt der Säntis. Vereinzelt geben lichte Stellen im Wald schon den Blick auf den Bodensee im dicken Dunst frei. Böiger Wind kommt auf. Schwarze Wolken bedecken den Himmel. Ab und zu spüre ich Regentropfen. Sollte ich so kurz vor dem Ziel doch noch eine Dusche abbekommen?

Auf jeden Fall nicht mehr in Bayern, dann schon in Voralberg! Dass Niederschläge notwendig sind, zeigt die wunderwirkende Quelle an der Ulrichskapelle, die nur ab und zu einen Tropfen fallen lässt. Wie sollen all die Augenkrankheiten gelindert werden, wenn sie versiegt?

Ab Möggers geht es in stetem Bergauf und Bergab dem Pfänder zu. Der Wunsch, endlich anzukommen, ist größer als die schönsten Ausblicke links und rechts zu genießen.

Und dann stehe ich in einem aufkommendem Sturm ganz alleine auf dem Pfänder. Alle Touristen haben sich schon verkrochen. Ich will aber das Ankommen wenigstens einige Minuten genießen. Zweitrangig ist, dass vom Bodensee fasst nichts zu sehen ist. Bregenz ist noch zu erkennen, Lindau nur noch schemenhaft zu erahnen.

Zufrieden steige ich ab zur Bergstation der Pfänderbahn. Bei der Talfahrt beginnt es zu regnen. An der Talstation schüttet es. Noch einmal Glück gehabt!

Hier wird es irgendwann nach einer Bergfahrt durch die Schwiez weitergehen! Vielleicht im Herbst! Vielleicht nächstes Jahr!

Von Weitnau bis Simmerberg

(Weitnau/Simmerberg, Freitag, 06.05.2011)

Am Freitagmorgen breche ich von Weitnau nach Simmerberg auf. Weil die Kirche meiner Übernachtungsstätte, dem Gasthaus Krone, gegenüber liegt, statte ich ihr einen Besuch ab. Kein Barock mit Skeletten in Vitrinen! Mal was anderes! Ich bin angetan!

Weitnau – Kirche

Meine Wirtin warnte mich! Ich solle etwas zu essen mitnehmen! Auf dem ganzen Weg nach Simmerberg gibt es kein Wirtshaus. „Aber wenigstens so was wie einen Bäcker oder Metzger!“ dachte ich mir. Nichts! Oder alles mit Umweg verbunden! Mit Käselädle konnte ich da noch nichts anfangen. So musste mein Überlebensgemisch aus Trockenobst und verschieden Nusssorten herhalten. Meinen Flüssigkeitsbedarf deckte ich aus den gleichen Stellen wie die Kühe. Vielleicht sollte ich das öfter tun, denn mein Body nimmt wirklich willig all die Ab- und Anstiege in Angriff.

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Bis auf das letzte Stück kurz vor Simmerberg entlang einer Autostraße war das bisher die schönste Etappe auf meinem Jakobsweg. Ein Hauch von Seiseralm!

Von Wiggensbach bis Weitnau

(Wiggensbach/Weitnau, Donnerstag, 05.05.2011)

„Unser Kiarch miasa’S aber oschoi! Wir haba a schäne Kiarch!“ fordert die Vollblutwirtin des Goldenen Kreuzes in Wiggensbach. Beim Abendessen erzählt sie kurz alles, was ein Pilger über ihren Heimatort wissen sollte: „Wir haba so a netta Pfarra! Wir haba 105 Ministranta! Die haba gsammelt für a Ausflug zum Bodasä! Die haba soviel Geld kriagat, dass sia’s net haba ausgeba kennat.“ Ihr Standardspruch lautet: „Mei nett!“ Es ist alles nett, auch die Preise! Ihre selbstbewusste Erklärung: „Aber der Pilger freut sich dann scho a, wenn a amal wiada was gscheits kriagt!“

Ich habe dann auch die Kirche angeschaut und bin von dort nach Weitnau aufgebrochen. Diesesmal habe ich auch den Wegweiser für den Jakobsweg am Ortsausgang gefunden. Die Ausschilderung nach Weitnau ist vorbildlich.

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Vor Buchenberg bekomme ich dann Probleme mit meiner Blase an der rechten Ferse. Die ist schon wieder voller Wasser und wird immer größer! Ich hole mein Notfalloperationsset in Form einer Sicherheitsnadel von meinem Strohhut. Ein herzhafter Durchstich, etwas Drücken und das Wasser spritzt in einer Fontäne. Kein Zweifel, die tote Haut in der Größe eines Zwei-Euro-Stückes wird für weitere Probleme sorgen. Momentan ist das Ganze im Schuh nicht angenehm aber erträglich.

Nach Buchenberg beginnt es zu regnen. Erst fängt es ganz langsam an. Aber dann! Aber dann!

Als ich in Rechtis mal wieder über eine Weide gehe, sehen mich die Rindviecher als ihren Heilsbringer, der sie vor der Unbill des Unwetters schützen und in den sicheren Stall geleiten wird. Die ganze Herde folgt mir schließlich bis zum Gatter, wo sich unsere Wege wieder trennen. Die Enttäuschung ist den Tieren in die großen Augen geschrieben. Mir bricht ihre Ratlosigkeit fast das Herz.

Trotz des peitschenden Regens steige ich den Sonneckgrat hoch. An exponierten Stellen verschwinde ich in Nebelschwaden, im Wald jedoch schützen die Bäume vor dem Wind. Nur ein Bruchteil der Feuchtigkeit gelangt schon durch das Blätterdach.

Genau beim Abstieg vom Grat hört der Regen auf. Ab und zu kommt sogar die Sonne durch. Als ich in der Unterkunft ankomme sind schon wieder die Hosenbeine trocken.

Von Grönenbach bis Wiggensbach

(Grönenbach/Wiggensbach, Mittwoch, 04.05.2011)

Vom Landhotel Grönenbach durch das Ortszentrum direkt auf den Jakobsweg! Nirgendwo eine Muschel, die den Weg weist! Ich folge der auf meinem GPS gespeicherten Route. Nach fünf Kilometern auf der Straße nach Legau dann das erste Zeichen, das mich überraschender Weise auf einen steilen Berg führen will und nicht in das Tal der Iller, auf das ich schon so gespannt war. Zunächst glaubte ich, die Jakobsweg-Strategen schämen sich, die Muschel an einer Autostraße anzubringen. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass sie durchaus verständlich den Weg geändert haben, ohne aber Wegweiser und Informationsmaterial auf den aktuellen Stand zu bringen. Um Altusried verschwindet die gelb-blaue Muschel ganz. An ihre Stelle tritt irgendwas Metallic-Farbenes. Nach einigen Unklarheiten beschließe ich nur noch strikt meinem GPS und anderen Wegweisern nach Altusried und Wiggensbach zu folgen.

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Zunächst mache ich jedoch den steilen Anstieg. Oben angekommen leitet mich die gelb-blaue Muschel sogar mit zwei Pfeilen bald wieder nach unten. Dabei handelt es sich um einen Pfad durch eine mit Stacheldraht eingezäunte Kuhweide, die nur durch ein spezielles Gatter betreten werden kann. Brennnesseln wachsen darin jetzt schon recht gut. Ich betrachte das Jucken an meinen Beinen positiv: „Gut gegen Rheuma!“

Weiter unten hat der Bauer beschlossen, den Bewegungsfreiraum seiner Kühe durch einen Elektrozaun einzuengen. Jedoch baute er damit auch eine Sperre auf dem Jakobsweg. Als ich einen solchen Zaun zu Zeiten der Bundeswehr überstieg, wurde ein Spannungsimpuls gerade dann ausgelöst, als ich den Draht zwischen den Beinen hatte. Ich will meiner müden Muskulatur den Luftsprung ersparen, nehme den Rucksack ab, schiebe ihn unter dem Zaun durch und rolle dann hinterher.

Am Ausstiegsgatter steht dann unvermittelt zunächst hinter Hecken verborgen eine neu erbaute Kapelle. Im Innern noch sehr bescheiden liegt jedoch ein Buch aus, in dem die Leute ihre Freuden, Sorgen und Nöte notieren können.

Dadurch motiviert schreibe auch ich: „Lieber Gott, bitte Verzeih mir all die Verwünschungen, die ich gegen die Planer des Jakobweges gerichtet habe. Es wird schon einen guten Grund haben, dass Du mich hierher geführt hast.“ Später habe ich dann keine Verwünschungen mehr ausgesprochen, sondern bin einfach meinem GPS gefolgt.

So habe ich überraschenderweise die Erste Bürgerbrücke Bayerns über die Iller gesehen, habe die Konflikte mit diversen Hofhunden ohne meinen Stock erfolgreich gelöst, und konnte doch noch eine gemütliche Zeit in Altusried und Wiggensbach verbringen.