Von Boadilla nach Villalcázar

(Boadilla/ Frómista/ Villalcázar, Montag, 28.02.2022)

Vor 18 Monaten reicht es nicht bis Frómista. So gilt es, das Stück ab Bodilla-del-Camino nachzuholen. Ich will es am ersten Tag nicht übertreiben und vor Carrión-de-los-Conde stoppen, um meine Fußsohlen zu schonen. Dann komme ich doch bis Villalcàzar-de-Sirga.

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Auf den braunen Betonstraßen geht es durch das auch morgens schläfrige Boadilla zum Canal di Castilia, der vor 250 Jahren gebaut wurde, um Getreide zu transportieren

Boadilla, Canal di Castilia

Überraschend schnell geht es auf dem Treidlweg entlang bis zur Schleuse nach Frómista. Mein rechtes Knie und der linke Ischias scheinen keine Schwierigkeiten machen zu wollen. Die warme Frühlingsluft sorgt für Hochstimmung.

Frómista mit seiner Pilgergastronomie ist noch im Winterschlaf. Zur viel gerühmten Kirche gibt es mal wieder keinen Zugang. Somit gibt es keinen Grund länger zu verweilen

Schon taucht Població-de-Campos am Horizont auf. An der Ermita de San Miguel ist Mittagspause im Kastenwagen angesagt.

Ermita de San Miguel aus dem Kastenwagen

Eigentlich wollte ich hier schon mein Nachtlager aufschlagen. Aber weil es gut läuft, packe ich nochmal zwei Stunden bis Villalcàzar-de-Sirga dazu. Ich benutze den neu ausgeschilderten, sogenannten noch schöneren Weg entlang einem Flüßchen. Leider ist er auch etwas länger und strapaziert damit meine Sohlen. Ich treffe auf acht Störche, einen Traktorfahrer und kurz vor dem Ortseingang einen Rollstuhlfahrer, der sich mit seinem Hightechgerät per Sprachsteuerung auf den offensichtlich meist verkehrslosen Straßen sicher austoben darf.

Bei der Tempelritter-Kirche Santa Maria la Blanca ist dann Schluss für heute. Leichtsinnigerweise mit dem doppelten Pensum!

Santa Maria la Blanca

Natürlich ist die Kirche geschlossen!

Von Castrojeriz nach Boadilla

(Castrojeriz/Boadilla-del-Camino, Sonntag, 20.09.2020)

Es ist kalt in Castrojeriz an diesem Sonntagmorgen! Es hat die ganze Nacht geschüttet. Wahrscheinlich wird es den ganzen Tag so weitergehen. Normalerweise setzt niemand an einem solchen Tag den Fuß vor die Wohnmobiltür. Insbesondere dann nicht, wenn er schon erkältet ist!

Auf dem Jakobsweg gelten anderere Gesetze: immer vorwärts!

Immerhin starte ich heute in langer Hose und Softshelljacke. Mein großer Aluregenschirm muß mich vor der Nässe schützen! Ein Regencape kommt nicht in Frage. Ich hasse die sich darunter anstauende Feuchtigkeit des Schweißes! Wenn schon nass, dann nur von außen!

Auf geht’s nach Frómista mit wenig Lust. Werde aber nur bis Boadilla-del-Camino kommen …

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Überraschend lange zieht sich der Weg durch Castrojeriz zu Fuße des imposanten Castillo entlang, Kirche an Kirche! Ich bin beeindruckt.

Dann gilt es, den Tafelberg Alto de Mostelares zu erklimmen. In der Hoffnung etwas Wärme in meinen Körper zu pumpen, nehme ich die steile Rampe freudig an. Leider nimmt mit jedem Höhenmeter die Intensität der Niederschläge zu. Es fordert einigen Aufwand und Geschick den durch die Taubeneier großen Regentropfen erzeugten Druck auf meinen Schirm auszugleichen. Das gelingt ganz gut, trotzdem dringt mehr und mehr Feuchtigkeit auf der linken Körperhälfte bis auf die Haut vor. Der Kilometer weite Blick über abgeerntete Getreidefelder auf der Hochebene vermag nur kurz über die schleichende Auskühlung hinweg zu trösten.

Nach zwei Stunden hört der Regen auf! Ich benutze die Gelegenheit zu einer kurzen Rast auf einer kalten Steinbank. Da hätte ich mich mal besser nicht hinsetzen sollen!

Die Kapelle Nicolas heitert etwas später nur wenig auf.

Am Ortsausgang von San-Itero-de-la-Vega verspüre ich plötzlich kolikartige Schmerzen in der Nierengegend. Wegen dem Pilgerpärchen hinter mir, war es nicht möglich zu pinkeln. Da ist der Blaseninhalt wohl in die Niere geschwappt. Gott sei Dank sind die größten Schmerzen nach einigen Minuten vorbei. Ein Druckgefühl bleibt.

Noch muss ich mich zwei Stunden nach Boadilla zum Wohnmobil schleppen. Die Luft ist raus!

Zu allem Überfluss fängt es wieder aus allen Kübeln zu regnen an. Ein vernünftiges Gehen ist auf den verschlampten Lehmwegen nicht möglich. Tatsächlich bieten die Stoppeln auf den abgeernteten Feldern mehr halt. Bequem ist anders!

In Boadilla ist dann erstmal Schluss. Was werden meine Eingeweide in den nächsten Stunden so machen?

Von Hornillos-del-Camino nach Castrojeriz

(Hornillos-del-Camino/Castrojeriz, Samstag, 19.09.2020)

Unseren Van parken wir gestern bei der Ankunft in Hornillos-del-Camino bei der Zufahrt zu einem Feldweg an einer Gartenmauer. Dann hören und sehen wir niemanden und nichts mehr bis zum Morgen. Kein Hund! Kein Hahn! Was treiben die Bewohner hier?

Nur Windböen schütteln unsere Schlafstätte ab-und-zu. Vereinzelt prasseln Regenschauer auf unser Dach. Das bringt mich dann doch dazu, meinen Regenschirm gegen alle inneren Widerstände auf den Weg nach Castrojeriz mitzunehmen.

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Das ist gut so. Denn es fängt kurz nach Verlassen der Ortschaft zu duschen an.

Bald taucht der erste wasserdicht verpackte Pilger auf. Er schleppt seine Habseligkeiten in einem Anhänger. Schaut fast nach einem Dauerpilger aus.

Vereinzelte graue Steinhaufen inmitten von lange abgeernteten Getreidefeldern (eigentlich ein großes Feld) auf grauem Lehmgrund unter einer grauen Nebelsuppe sind die einzige Abwechslung, um das Gemüt zu erheitern.

Der Abstieg nach Hontanas erfolgt in fließend kaltem Wasser. Allein der Anblick der Dächer weckt Hoffnung. Die Kirche dort ist offen. Ohne Eintritt zu bezahlen, stehen die Tore offen, um sich bei einer Tasse Kaffee aufzuwärmen. Dankbar wird das Angebot angenommen.

Aber es muß weitergehen. Auf der Hochebene direkt gegen die Elemente Wind und Wasser, im Tal gegen den tückischen lehmigen Wegbelag.

Gott sei Dank führt der Weg bald auf eine Teerstraße. Es ist unbeschreiblich, welche euphorische Stimmung ein fester Grip unter dem Schuhwerk bewirkt.

Der Regen stoppt zunächst phasenweise und hört dann ganz auf. Unter dem Tor von San Anton, das seit Jahrhunderten jeder Pilger nach Santiago durchquert, ist die Straße schon fast wieder trocken.

Kurz vor Castrojeriz blickt sogar unschuldig der blaue Himmel durch. So als ob nichts gewesen wäre!

Aber natürlich ist eine ganze Menge geschehen. Insbesondere bin ich von oben bis unten in meiner sommerlichen Wanderbekleidung durchnäßt und ausgekühlt. Leichtsinnigerweise ignoriere ich das und treibe mich in meiner Unterkunft noch eine ganze Zeit lang mit den nassen Klamotten herum. Am Abend bin ich erkältet.

Von Burgos nach Hornillos-del-Camino

(Burgos/Hornillos-del-Camino, Freitag, 18.09.2020)

Nach technischen Schwierigkeiten mit dem Ladezustand meines Handies verlasse ich heute das mondäne Burgos in Richtung des rustikalen Hornillos-del-Camino erst am späten Vormittag. Meine Fahrerin sieht ohne funktionierende Kommunikationsmittel keine Möglichkeit, die mobile Hütte sicher zum Zielort zu bringen. Beim Warten auf das Öffnen eines Phoneshops zum Neukauf eines Ersatzes löst sich das Problem durch den zufälligen Austausch des Ladekabels aber von selbst.

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An einer roten Ampel in der Nähe des Stadttors schmeißt sich mich aus dem Fahrzeug.

Burgos, Stadttor

Auf dem Weg zur Kathedrale machen alle Passanten mit vorwurfsvoller Miene einen großen Bogen. Ja, ich habe wieder einmal vergessen, eine Maske aufzusetzen. Die Städte und Dörfer nehmen das schon ernst. Wenigstens habe ich einige dabei, um diese Nachlässigkeit sofort zu beheben.

Beim Eintreffen fängt es zu Giessen an. Wie an Schnüren aufgehängt fallen die großen Tropfen auf die weißen Bodenplatten vor der Kirche, nur um wieder bis über die Knie hoch zu spritzen und in einem sich langsam aufbauenden See den ganzen Platz mit konzentrischen Mini-Tsunamis zu übersäen. Noch macht das Ganze wirklich Spaß!

Ich spanne meinen Schirm auf, der auch wirklich guten Schutz bietet. Wirklichen Bock ihn die ganze Zeit zu tragen, habe ich aber nicht. Da macht das Ganze schon weniger Spaß!

Nach der Hälfte des Weges bei Tardajos hört der Regen nachhaltig auf. Im Ort ist ein kleiner Rastplatz, einigermaßen trocken und gut geeignet für eine kurze Trinkpause! Nach einigen Schluck Wasser vermisse ich mein Garmin, das routinemäßig bei solchen Gelegenheiten immer rechts neben mir liegt. Nicht da! Auch sonst nirgendwo!

Ich muß es nach dem Aufsetzen der Maske am Ortseingang auf einer Mauer etwa zweihundert Meter entfernt vergessen haben. Ich kehre sofort zurück: nichts!

Ich suche die Strecke einmal ab, ich suche sie zweimal ab, ich suche sie dreimal ab: kein Navigationsgerät. Auch kein Mensch, der es gefunden haben könnte, oder den ich hätte fragen können. Ich werde mich mit seinem Verlust und insbesondere den darauf gespeicherten Recordings abfinden müssen.

Leicht deprimiert setze ich meinen Weg fort. Bald hole ich eine junge Frau ein. Weil sie so nett lächelt, muß sie sich jetzt mein Dilemma anhören. „Do You speak English?“, nehme ich Kontakt auf. „Wir können auch Deutsch sprechen!“, antwortet sie mit einem leicht französischen Akzent. Sie stammt aus der Bretagne, hat gerade ihre Masterarbeit in einem Wirtschaftsstudium beendet und nimmt jetzt eine Auszeit von Big Data und Number Crunching.

Ja, und sie kennt sie Regensburg: eine deutsche Freundin studiert dort Kirchenmusik.

Ja, und sie war für neun Monate in Altötting: das war die schönste Zeit in ihrem Leben, nur etwas zu viel gebetet.

Ja, und sie ist Katholikin: Auferstehung und Ewiges Leben.

Nein, und sie ist keine Nonne: das geht nicht so einfach, dazu wird man berufen, das ist bisher nicht geschehen.

Ja, und ich bin erstmal sprachlos und meine dann : „Der liebe Gott möge noch lange mit der Berufung warten“. Belustigt antworted sie: „Com si com ça!“

Mit der Ankunft im braunbunten Hornillos mit dem spröden Charme seiner glatt betonierten Hauptstrasse trennen sich unsere Wege. Gerade recht bevor es zu persönlich wird.

Hornillos-del-Camino, Haupstraße

Ja, und mein Garmin GPS ist vergessen, ohne es jemals anzusprechen.

Morgen ist eine neue Etappe! Neues Spiel! Neues Glück! Ich bin schon gespannt!

Von San-Juan-de-Ortega nach Burgos

(San-Juan-de-Ortega/Burgos, Donnerstag, 17.09.2020)

Es ist noch Dunkel als ich vom idyllischen San-Juan-de-Orthega aufbreche, um ja vor dem heißen Nachmittag in Burgos anzukommen. Das ist heute eigentlich nicht notwendig, denn die Temperaturen sind über Nacht deutlich gefallen.

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Mein Coach will mich ohne Taschenlampe nicht ziehen lassen. Des lieben Frieden Willens nehme ich sie mit. Habe aber nicht vor, sie zu gebrauchen. Das klappt zunächst auf der Teerstraße ganz gut. Im folgendem wunderbar riechenden Kiefernwald sieht man die Hand aber vor den Augen nicht. Prompt stolpere ich da in eine Pfütze und stehe bis über die Knöchel im Wasser. Es scheint doch vorteilhaft, den Weg zu beleuchten.

Bei Agés hole ich dann die zwei Wohnmobil-Französinnen ein. Auch sie sind in einer mobilen Hütte unterwegs, dem ganzen Stolz des Ehemannes einer der beiden, der sich allein auf das Fahren und rund-um-Uhr Pflege konzentriert. Seit Tagen parken sie an den gleichen Plätzen wie wir. Haben wohl die gleiche App. Unsere Unterhaltungen nur mit Händen, Füßen und sonstigen Körperverrenkungen sind leider nicht sehr ergiebig. Ich werde sie in Burgos wiedersehen. Und obwohl ich sie jetzt überhole, werden sie vor mir dort sein.

Ich komme an Atapuerca, dem Fundort der 800.000 Jahre alten Überreste eines der ersten Europäer vorbei.

Ich steige den Matagrande hoch und fühle mich angesichts des den heimatlichen Jurariffen ähnlichen Kalkgesteins wie zuhause.

Während des sogenannten Markierungskrieges werden die Pfeile für den kürzesten Weg im Abstieg entfernt. Der Pilgerstrom fließt nun über Villalval, Cardenuela und Orbaneja und mag die ein oder andere Bar dort erst rentabel machen.

Über die Startbahn des Flughafens könnte man ebenfalls gut abkürzen. Ein Zaun macht dies leider unmöglich.

Vor einer Bahnbrücke in Villafria schließe ich bis auf ein paar Meter zu einer Dreiergruppe auf. Auf der anderen Seite ist sie spurlos verschwunden! Zunächst bin ich etwas irritiert. Dann setze ich meinen Weg parallel zur N-120 fort. Vereinzelt tauchen auch wieder gelbe Pfeile auf. Aber weit und breit ist niemanden mit einem Rucksack zu sehen.

Dafür komme ich bei Bridgestone vorbei und darf die Dämpfe der Gummikleber wie vom Fahrradreifenflicken bekannt nur in einer höheren Konzentration inhalieren.

Google Maps alarmiert, bis zum Van ist es nicht mehr weit und führt mich hin.

Tatsächlich hat der Coach einen Superstellplatz für eine Stadtbesichtigung am Nachmittag und eine Übernachtung nur ein paar hundert Meter from Zentrum entfernt gefunden.