Von Capilla-das-Neves nach Fisterra

(Capilla-das-Neves/Fisterra, Donnerstag, 31.03.2022)

Bevor die Kühe aus dem Nachbardorf an unserem Kasten vorbei auf die Weide ziehen und dabei der Versuchung erliegen, ihre Hinterteile an unseren Außenspiegeln zu scheuern, brechen wir auf getrennten Wegen nach Fisterra auf.

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Für mich bedeutet das zuerst Anstieg. Zur Schonung lasse ich es langsam angehen. Körper und Geist schalten daraufhin in eine eine Art Schlafgang und lassen jegliche Frische verschwinden.

So schleppe ich mich an der Capela da San Pedro Mátir vorbei. Der merkwürdige assoziierte Bühnenkomplex mitten im Wald lässt auf das ein-oder-andere weltliche Event zu Ehren des Heiligen schließen.

Mit dem ersten weiten Ausblick auf das Meer leitet sich ein langer, nicht unbedingt bequemer Abstieg ein. Oft stoßen die Zehen gegen die Schuhspitzen und erhöhen Angst und Schrecken vor blauen Nägeln.

Unten empfängt einen Cee mit einfachen Häuserfassaden, die in der Farbkomposition fast schon wieder interessant sind.

Ich folge nicht dem offiziellen Weg, sondern bummle an der Bucht entlang. Der Anblick des ersten Sandstrandes im Kontrast zu den Bäumen, Büschen, Gräsern, Felsen, Pfützen, Kühen der letzten Tage vermittelt Erhabenheit. Aufbruchstimmung liegt in der Luft, obwohl das Finale nahe ist.

Es bedarf eines weiteren Anstiegs, um Fisterra mit seinem langen Stand in der nächsten Bucht vor Augen zu haben.

Bis dorthin ist es noch weit. Für Aussicht auf ausgewaschene Felsen und feinen Sand bedarf es weiterer Mühen.

Fisterra mag sich seinen langen Strandes glücklich schätzen. Für mich ist er noch ein langer, wenn auch sehr eindrucksvoller Weg mit Ausblick auf gehobenere Restaurants und Unterkünfte zum anderen Ende.

Von Santa-Marina nach Capilla-das-Neves

(Santa-Marina/Capilla-das-Neves, Mittwoch, 30.03.2022)

Vom Kuhdorf Santa-Marina gehe ich zur in der Mitte der Abgeschiedenheit liegenden Capilla-das-Neves, die genau einmal im Jahr im September zum Patronatsfest erwacht.

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In der Nacht hat es stark abgekühlt. Nebelfelder umgeben unseren Stellplatz bei Sonnenaufgang. Der Himmel hoch ist heiter und verspricht einen schönen Frühlingstag. Locker und leicht setze ich die ersten Schritte.

Es kommt zu einem Auf-und-Ab mit einigen giftigen Rampen. Der Eukalyptusduft der letzten Tage wird durch den Geruch der ausgebrachten Gülle ersetzt. Die Wiesen sind zum ersten Mal gemäht und gedüngt. Ähnliches wird in Bayern erst Mitte Mai geschehen.

Liebevoll im alten Stil restaurierte Horrés begleiten den Weg. Sie dienen wohl eher dem Ausdruck der Heimatverbundenheit als einem wirtschaftlichen Zweck

In Ponte Oliveira mache ich Rast. Ich setze mich zu einer Gruppe, die ich für Pilger halte. Es sind aber Gemeindearbeiter, die damit beschäftigt sind, Picknickplätze zum Saisonbeginn auf Vordermann zu bringen. Genau eine Minute bevor der Chef zur Dienstaufsicht eintrifft, sind alle voll im Einsatz. Gras und Äste fliegen nur so durch die Gegend. Sichtlich zufrieden zieht der Kontrolleur mit seinem Dienstfahrzeug von dannen.

Bis Oliveira schützt ein weißer Markierungsstreifen vor entgegenkommenden Autos. Dort sieht der Überlebende eine mit Geldern der EU erstellte breite Einfallstraße mit Prachtmauer und großen Namenszug, die den kosmopolitischen Ehrgeiz des Dorfes betont.

Ich verlasse das Dorf über einen glasklaren Wildbach, der sich in einem See mit vielen Wasserpflanzen verliert.

Wiedereinmal führt der Weg steil nach oben. Der Wald wird spärlicher. Es macht sich eine Ginsterheide breit, aus der von früheren Gletschern glatt geschliffene Granitblöcke herausragen. Es eröffnet sich ein faszinierender Ausblick in einen tief ausgeschürften meandernden Canyon, in dem das Wasser aus dem Stausee reißend abfließt.

Irgendwie bin ich froh, nicht mehr im Eukalyptus herumzustreifen. Ich genieße die Weite und saubere Luft.

Das Kreuz mitten auf der Straße erinnert mich, eigentlich bewege ich mich auf christlichen Pfaden. Davon war in letzter Zeit nicht viel zu spüren. Herbergen und Bars haben den verschlossenen Kirchen den Rang abgelaufen.

Da trifft es sich gut die Nacht an der Capilla-das-Noves zu verbringen mit genügend Zeit, darüber nachzusinnen, was sich hier in den letzten Jahrhunderten alles ereignet haben mag.

Von Santiago nach Negreira

(Santiago-de-Compostela/Negreira, Montag, 28.03.2022)

Wir hatten ein schönes Wochenende in Santiago. Der Samstag war Geh frei und die meiste Zeit döste ich im Liegestuhl vor dem Kasten in der warmen Frühlingssonne. Am Sonntag ging es mit dem Bus für einen Euro wieder nach Santiago, wo der Bischof den Pilgern in der Messe höchstpersönlich die Leviten las. Danach hatte ich das Bedürfnis, einen großen Haufen Pommes aufzunehmen. Dieser war nur zusammen mit einem Steak zu erhalten. Es geriet durch die spanische Zubereitung zu zäh wie die Predigt des Bischofs zu lang.

War ich mir am Freitag noch gar nicht so sicher, so reifte am Tag darauf dann doch schnell der Entschluss zum Finis Terre zu wandern. Am ersten Tag geht es dazu von Santiago nach Negreira.

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Ich verlasse Santiago nach Westen über Ponte Sareia.

Es geht ziemlich wellig dahin. Aber es läuft sich gut nach zwei Tagen Pause: kein Spannen im rechten Knie, kein Brennen im rechten Oberschenkel, kein Zwicken des linken Ischias, keine drückende Blasen. Da reift schon mal der Gedanke, doch einmal wieder dreißig Kilometer abzureißen.

Außerdem hat mir die Fahrerin eine kurze Wanderhose gekauft. Ein wirklicher Glücksfall in Anbetracht der warmen Temperaturen.

Guter Dinge blicke ich noch einmal nach Santiago zurück.

Nach den Wellen im Eukalyptuswald steige ich stetig nach Augapesa ab ins Tal. Vor mir tut sich quer ein Bergrücken auf und ich ahne, den gilt es wohl zu erklimmen. So ist es auch. Über Kilometer geht es gerade bergauf.

Oben in Carballo werden Stiere für die Arena gezüchtet. Man ist eingeladen, Fotos zu schießen. Ich kann mich nicht für die dazu notwendigen zusätzlichen Schritte entschließen.

Gott sei Dank liegt Ponte Macreia direkt auf dem Weg. Hier ist es mit Zücken der Kamera getan. Dort ist es wunderschön.

Leider muss ich weiter nach Negreira. Eine psychische und physische Folter entlang einer viel befahrenen Straße und einer Bergkuppe mit Auf- und Abstieg.

Von O-Pedrouzo nach Santiago

(O-Pedrouzo/Santiago-de-Compostela, Freitag, 25.03.2022)

Heute ist die letzte Etappe auf dem Camino Frances nach Santiago. Es fällt nicht schwer, vom nüchternen Startort O-Pedrouzo Abschied zu nehmen. Ich bin gespannt auf das Ziel. Aber die Vorfreude hält sich erstaunlicher Weise im Rahmen.

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Wie in den letzten Tagen in Galicien immer schreite ich auf guten Wegen durch einen Mischwald aus Kiefern und Eukalyptusbäumen, deren guter Geruch einem dann doch hin und wieder entgegenschlägt.

Der mittlere Abstand zwischen den einzelnen Pilgern und Gruppen wird zunehmend kleiner. Viele kenne ich inzwischen von den vorherigen Tagen zumindest vom Sehen. Warum auch immer stellt sich die gleiche Marschreihenfolge ein.

Nicht nur bei Frauen, vereinzelt auch bei Männern, liegen Gesäß betonende Legins im Trend. Sie laufen den an Souvenirshops erhältlichen Pilgerkutten den Rang ab. Ich weiß nicht, was der heilige Jakobus sagen würde. Repräsentanten des kirchlichen Establisments müssten sich da schon entsetzt zeigen.

Ich verfolge die Entfernungsangaben auf den Kilometersteinen. Es ist bemerkenswert, wie lange sich fünfhundert Meter anfühlen können. Ich freue mich, wenn der ganzzahlige Anteil mal wieder abgenommen hat.

Historische Bauwerke halten sich in Grenzen. Topographisches Highlight ist der Flughafen von Santiago, der einfach in die Landschaft geschüttet zu einem Umweg zwingt.

Nach dem Flughafen heißt es die verdienstvolle Fahrerin der mobilen Hütte von einem sicheren Stellplatz in San Marco abzuholen. Die letzten fünf Kilometer bis zur Kathedrale gehen wir durch die lange Vorstadt gemeinsam.

Es ist geschafft. Fast zwölf Jahre dauerte es, um vor die Kathedrale von Santiago zu kommen. Aber dafür jedes Stück zu Fuß.

Von Arzúa nach O-Pedrouzo

(Arzúa/O-Pedrouzo, Donnerstag, 24.03.2022)

Am vorletzten Tag starte ich in Arzúa mit dem Ziel O-Pedrouzo.

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Frühstück, Fußpflege und sonstige Notwendigkeiten sind erledigt. Dann geht es los!

Eine Gruppe von Frauen ist jeden Tag der erste Kontakt. Offensichtlich starten sie zum gleichen Zeitpunkt. Obwohl ich nicht auf die Uhr schaue, hat jeder Morgen ziemlich genau den gleichen Zeitverlauf. Bis zum ersten Berg werde ich hinterherlaufen. Dann hat das Geschnatter eine Ende.

Zur Hälfte gibt es eine größere Pause. An diesem schönen Tag habe ich mir ein besonders schönes Plätzchen ausgesucht, unter Palmen und Kamelien.

Bis O-Pedrouzo muß eine Nationalstraße mehrfach überquert werden. Mit Erschrecken muss ich anhand der kleinen Denkmäler und abgelegten Blumensträuße feststellen, dass schon viele Pilger bei Unfällen umkamen.