Von Neumarkt bis Altötting

In Neumarkt St.Veit geht es morgens um 02:00 Uhr auf die letzte Etappe. Seit 01:00 Uhr bin ich wieder auf den Beinen. Wieder nur drei Stunden geschlafen wie all die letzten Tage während der Wallfahrt! Jedoch haben sich meine Füße gut erholt! Nicht einmal die angehende Blase spüre ich wirklich!

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Bei milden Temperaturen und klarem Himmel setzt sich der Zug in Bewegung. Ansich ein Widerspruch, der sich nach der Hälfte der Strecke auflöst: es beginnt immer wieder leicht zu tröpfeln, der Himmel überzieht sich mehr und mehr, starker Wind kommt auf.

Bis Pleiskirchen werde ich nicht richtig wach. Ich versuche im Gehen zu schlafen. „Schritt für Schritt!“ erinnere ich mich jetzt an mein altes Ausdauermotto aus einem früheren Sportlerleben und konzentriere mich auf die momentan machbare Lösung dieses kleineren Problems. Ein paar tausendmal wiederholt wird mich dies zum Ziel bringen! Den Sonnenaufgang kriege ich nicht mit.

Ich bewundere noch einmal die Vorbeter, die die gleiche Strecke gegangen sind wie ich, aber immer noch konzentriert genug sind, ihr Programm würdig und fromm abzuspulen. Ohne ihre Disziplin würde der Zug sehr schnell zu einem Vandalenhaufen verkommen.

„Wer auf Wallfahrt geht, kommt nicht in den Himmel.“

Zwei Tassen Kaffee und zwei Quarkschnecken in Pleiskirchen bewirken ein Wunder. Ich bin pünktlich zum Abmarsch auf dem allerletzten Stück nach Altötting mit einem Schlag voll da. Dass mein Körper das alles so gut mitmacht, ist erhebend und beruhigend zu gleich. Noch bin ich nicht verloren!

Es wird kälter und kälter. Der Wind immer stärker. Immerhin kommt er meist von hinten und treibt uns förmlich auf das Ziel zu. Der einzige größere Regenschauer geht glücklicherweise während des Frühstücks im Gasthaus nieder.

Bald sind wir in der eintönigen Innebene: mit ihren Monokulturen nicht gerade ein Quell der Freude. Das Gebet aus den Lautsprechern konkurriert lange mit den Fahrgeräuschen von der nahen Autobahn. Wer die Natur geniessen will, braucht nicht unbedingt auf diese Wallfahrt. Die freudige Stimmung resultiert alleine aus der Nähe zum Ziel: am Horizont erhebt sich die Basilika St.Anna Altötting.

Und dann sind wir in Altötting. Zunächst einmal eine Stadt wie jede andere. Erst ab dem Franziskushaus ungefähr 1000 m vor der Basilika und der Gnadenkapelle wird sie zu etwas besonderem.

Zunächst fängt es ganz langsam mit der Blasmusik an. Dann wird das Spalier aus angereisten Angehörigen oder Zuschauern immer dichter. Freudiges Zuwinken und erste Tränen beim Wiedersehen! Altötting lebt den und lebt vom Mythos der Wallfahrt!

Aus besonderem Anlass des 325. Jubiläums der Wallfahrt ist die Madonna vor der Kapelle ausgestellt. Mir ist dieses besondere Ereignis gar nicht so bewusst während die Pupillen meiner frommen Begleiter leuchten wie die von kleinen Kindern beim Anblick der Geschenke unter dem Christbaum. Im Nachhinein erfahre ich, dass ich der Madonna hätte in die Augen schauen sollen.

Wir ziehen in der Basilika ganz nach vorne, setzen uns in eine Bank. Ungläubiges Staunen, wir sind am Ziel, wir sind angekommen und verweilen jetzt.

Eine Vielfalt der Freude: einzeln still und leise, sich um den Hals fallend, leises Lächeln und lautes Lachen, Schluchzen, Juchzen, Tränen. Bilder wie man sie sonst nur bei Olympiasiegern beim Umhängen der Goldmedaille erlebt!

Ich bin froh, dabei gewesen zu sein.

Ich verstehe Bayern und die Bayern noch besser. Was ein echter Bayer ist, muss an der Oberpfälzischen Fußwallfahrt teilgenommen haben.

Von Landshut bis Neumarkt St.Veit

Am Montag ist Abmarsch um 05:30 Uhr in Kumhausen. Ohne Frühstück fahre ich mit dem Taxi von der Innenstadt in den Landshuter Stadtteil, wo sich in der Ausfahrt nach Geisenhausen die Wallfahrer für den vierten Tag aufstellen. Gegen 18:30 Uhr soll dieser in Neumarkt St.Veit enden.

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Der Hunger treibt mich bereits während der Kommunion in Geisenhausen aus der Kirche in das nächste Wirtshaus. Damit ahme ich die Spezialisten nach, denen es immer wieder gelingt an der Toilette niemals anstehen zu müssen, stets freie Auswahl bei den Plätzen in der Gaststube zu haben und immer als erste zu ihrer Brotzeit zu kommen.

Eigentlich wollte ich Saures Lüngerl. Nach Blick in den Kochtopf entscheide ich mich dann doch für drei Weißwürste mit zwei Brezeln. Ein isotonisches Weißbier soll den Mineralhaushalt in meinen Körperzellen stabilisieren. Da ich dann immer noch nicht satt bin, eile ich in das gegenüber liegende Cafe zum Verzehr einer Quarktasche. Und das alles gegen halb neun morgens.

Über die von den Eiszeitgletschern aufgeschütteten Hügel führt dann der Weg bei strahlendem Sonnenschein zur Mariahilfkirche in Vilsbiburg. Dort geht der ernährungsphysiologische Wahnsinn weiter mit zwei Steaksemmel: einige Stunden warm gehalten und zäh wie Leder. Meinen Appetit stört das nicht.

Die anschließende Andacht will ich eigentlich ausfallen lassen und für ein Mittagsschläfchen nutzen. Das Wetter, das momentan nicht weiß, was es will, und die mahnenden Worte eines Mitpilger, dass ich hier nicht zum Wandern, sondern zum Beten sei, bringen mich dann doch unter das Dach der Kirche. Dort erlebe ich den unvergesslichen Urauftritt des während der vorhergehenden Pause gegründeten Pilgerchors: selig die, die guten Willens sind.

Das Wetter entscheidet sich für Sonnenschein. Und weiter geht es nach Egglkofen, wo der nächste kulinarische Leckerbissen in Form einer Leberkäsesemmel mit anschließendem Erdbeerkuchen wartet. Zum ersten Male bin ich heute satt.

Am Ende des Tages werden es immerhin wieder 35 km sein. Die Energiebilanz ist jedoch eindeutig: ich werde wiedereinmal mehr Kalorien aufgenommen als verbraucht haben. Energietechnisch betrachtet ist Wallfahren ein ziemlich effektiver Prozess. In der Tat bestätigen auch meine Mitpilger, dass sie zunehmen.

Das letzte Teilstück führt dann immer auf der Bundesstrasse 299 zwischen entgegenkommenden und überholdenden 40t-LKWs nach Neumarkt. Gleichzeitig zwickt meine linke große Zehe: eine Blase ist geboren. Meine Fersen fühlen sich nach vier Tagen an wie durchgetreten. Ein Zustand, den man wirklich nur durch Beten ertragen kann.

Bei der abendlichen Kofferübergabe kurz vor Neumarkt schreibt das Kloakenproblem eine neue Episode. Die Männer sehen nach der Kaffeepause endlich die Gelegenheit sich zu erleichtern und streben wie üblich ohne Rücksicht auf Verluste aus, die Umwelt mit der chemischen Vorstufe von Dünger zu beglücken. Wie üblich können die Frauen in gebührend keuschen Sicherheitsabstand nur zuzuschauen.

Diesmal steigt aber eine hübsche,blonde Polizistin an der gleichen Stelle aus ihrem Begleitfahrzeug. Wahrscheinlich zur Lagesprechung! Gerade als sie zur Erhöhung ihrer Autorität ihre unbefleckt weiße Dienstmütze aufsetzt, wird sie der gegenüberstehenden Männer in eindeutiger Stellung gewahr. Trotz der schnellen Flucht in ihr Auto ist das rote Leuchten ihres unschuldigen Antlitzes noch in großer Entfernung zu erkennen.

Und der Vorbeter verbreitet sein Alleeeelujah über die Lautsprecher.

Ab dann gilt nur noch eins: ab ins Bett und schlafen, schlafen …

Von Rohr bis Landshut

Am dritten Tag der Oberpfälzer Fußwallfahrt bricht die Hemauer Gruppe um 06:00 Uhr in Rohr nach Landshut auf. Für mich heißt das: um 03:00 Uhr aufstehen, um 04:00 Uhr nach Rohr über sämtliche Dörfer zwischen Hemau und Painten mit Meier Busreisen fahren. Um 05:00 Uhr pünktlich betrete ich die Klosterkirche in Rohr zur Sonntagsmesse.

Überwältig von der Asam-Plastik Mariä Himmelfahrt im Chorraum lausche ich den Worten des mit einem Dauerlächeln ausgestatteten, stets Zuversicht wofür auch immer verheißenden Priesters. Die kirchliche Public-Relation-Abteilung hat wohl erkannt, dass die formale Position der kirchlichen Hirten auf die Dauer alleine nicht ausreicht, um die Schafe in ihrem Volk zu erreichen.

So ist es wohl auch kein Zufall, dass der Pfarrer von Ars im Mittelpunkt der Predigt steht. Bei aller Sympathie für den Prediger und dessen Ausführungen kann ich dann doch keine Verbindung zwischen den Mühen einer Fußwallfahrt und den Selbstgeißelungen des Heiligen sehen: meine Freude an der Wallfahrt kommt aus dem Gehen und dem dabei erlebten Schönen, wovon ich Schmerzen mit absoluter Sicherheit ausschließe. (Der Pfarrer von Ars hat ja auch seine Selbstgeißelungen als Jugendtorheit relativiert.)

Auf dem Weg nach Rottenburg weht ein kalter Wind entgegen. Gestern noch hatte ich die Leute mit einer Zipfelmütze belächelt, heute weiß ich: alles Erfahrung. Nicht einmal gegen Handschuhe hätte ich heute etwas einzuwenden. Aber sonst läuft es gut: Schuhe passen, unter der teueren Softshelljacke immer ein gutes Wohlfühlklima.

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Nach der Andacht in dem Marienjuwell Heiligenbrunn erlebe ich zum ersten Mal Wallfahrtsgastronomie in Hohenthann beim Verzehr eines Gulasches. Das große Vertrauen, das die Wirte in die Ehrlichkeit der Wallfahrer beim Zahlen setzen, ist beinahe alleine schon die Wallfahrt wert: zunächst kann man soviel essen wie man will, dann kann man mehr oder weniger soviel zahlen wie man will.

Auf dem Weg nach Oberglaim sorgt das Lourdeslied für euphorische Stimmung. Körperlich habe ich überhaupt keine Probleme, weshalb ich hochmütig beschließe, das Stück vom offiziellen Ende in Hascherkeller zu meiner Unterkunft in der Landshuter Innenstadt auch auf Schusters Rappen zurückzulegen. Nur Gespräche mit anderen Pilgern an roten Ampeln unterbrechen meinen Powermarsch.

Einer erzählt mir dabei, dass seine ganze körperliche Vorbereitung in einem einzigen Spaziergang bestand. Da er das 28.Mal dabei ist, wird er schon wissen, was er tut. Momentan glaube ich das nicht. (Am Ende hat er es tatsächlich geschafft.)

Um 19:00 Uhr treffe ich in meinem Hotel ein und bin an diesem Tag fast 39 km gelaufen. Persönlicher Rekord!

Von Painten bis Rohr

Die erste Halbetappe startet am Samstag um 08:00 morgens vom Musikstadl in Painten zum Parkplatz der Brauerei Aukofer in Kelheim bei kühlen, aber trockenen Temperaturen.

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Die zahlreichen Pilger (am Schluss zählt jemand 256) kommen nicht nur aus den nahen Gemeinden Hemau und Painten, sondern nehmen lange Anreisen wie etwa aus Weiden oder Schierling in Kauf.

Nach der Mittagspause geht es weiter vom Gasthaus Sperber in Kelheim/Affecking zum Tagesziel in Rohr.

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Aufgrund von Quartierproblemen muß ich leider den stimmungsvollen Ausklang des Tages in der Rohrer Asamkirche gegen eine triste Busfahrt zurück nach Hemau tauschen. So ist mein Körper ohne Probleme in Rohr angekommen, meine Seele jedoch noch lange nicht.

Zu einer zufriedenstellenden Wallfahrt gehört wohl nicht nur eine Wanderung von einem Ort zum anderen, sondern auch das geistige und seelische Ankommen und Verweilen.

Von Eckertshof bis Painten

Soeben komme ich von der ersten Etappe der 325. Oberpfälzer Fußwallfahrt, Hemauer Gruppe, mit Start an der neu renovierten Mariensäule nahe Eckertshof und Ziel in der Pfarrkirche Painten zurück. Painten ist zu nahe, um schon am Zielort zu übernachten.

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Zunächst segnet Pfarrer Ferges die im neuen Glanz erstrahlende Mariensäule und das aus Anlass des 325. Jubiläums der Wallfahrt beschaffte Pilgerkreuz. Die Feier wird feierlich begleitet durch eine Abordnung der Hemauer Stadtkapelle.

Danach macht sich der Wallfahrerzug im strömenden, aber nicht weiter störenden Regen zumeist über Flurbereinigungswege auf nach Painten. Bis auf eine kurze stille Besinnungsphase unmittelbar nach dem Start wird tatsächlich während des ganzen Weges der Rosenkranz gebetet bzw ein frommes Lied gesungen.

Ich bin beeindruckt von der aufrichtigen Gläubigkeit der Teilnehmer. Für die Scheinheilgen scheint eine solche Wallfahrt auf jeden Fall zu beschwerlich: die bleiben lieber zuhause oder kommen mit dem Auto nach.

Das Lied der „Schwarzen Madonna“ gesungen zum Abschluss in der Paintener Pfarrkirche ist dann nochmal eine so richtig emotionale Warmdusche, die mich zufrieden auf meinen ersten Wallfahrtstag zurückblicken lässt.