Von Wiggensbach bis Weitnau

(Wiggensbach/Weitnau, Donnerstag, 05.05.2011)

„Unser Kiarch miasa’S aber oschoi! Wir haba a schäne Kiarch!“ fordert die Vollblutwirtin des Goldenen Kreuzes in Wiggensbach. Beim Abendessen erzählt sie kurz alles, was ein Pilger über ihren Heimatort wissen sollte: „Wir haba so a netta Pfarra! Wir haba 105 Ministranta! Die haba gsammelt für a Ausflug zum Bodasä! Die haba soviel Geld kriagat, dass sia’s net haba ausgeba kennat.“ Ihr Standardspruch lautet: „Mei nett!“ Es ist alles nett, auch die Preise! Ihre selbstbewusste Erklärung: „Aber der Pilger freut sich dann scho a, wenn a amal wiada was gscheits kriagt!“

Ich habe dann auch die Kirche angeschaut und bin von dort nach Weitnau aufgebrochen. Diesesmal habe ich auch den Wegweiser für den Jakobsweg am Ortsausgang gefunden. Die Ausschilderung nach Weitnau ist vorbildlich.

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Vor Buchenberg bekomme ich dann Probleme mit meiner Blase an der rechten Ferse. Die ist schon wieder voller Wasser und wird immer größer! Ich hole mein Notfalloperationsset in Form einer Sicherheitsnadel von meinem Strohhut. Ein herzhafter Durchstich, etwas Drücken und das Wasser spritzt in einer Fontäne. Kein Zweifel, die tote Haut in der Größe eines Zwei-Euro-Stückes wird für weitere Probleme sorgen. Momentan ist das Ganze im Schuh nicht angenehm aber erträglich.

Nach Buchenberg beginnt es zu regnen. Erst fängt es ganz langsam an. Aber dann! Aber dann!

Als ich in Rechtis mal wieder über eine Weide gehe, sehen mich die Rindviecher als ihren Heilsbringer, der sie vor der Unbill des Unwetters schützen und in den sicheren Stall geleiten wird. Die ganze Herde folgt mir schließlich bis zum Gatter, wo sich unsere Wege wieder trennen. Die Enttäuschung ist den Tieren in die großen Augen geschrieben. Mir bricht ihre Ratlosigkeit fast das Herz.

Trotz des peitschenden Regens steige ich den Sonneckgrat hoch. An exponierten Stellen verschwinde ich in Nebelschwaden, im Wald jedoch schützen die Bäume vor dem Wind. Nur ein Bruchteil der Feuchtigkeit gelangt schon durch das Blätterdach.

Genau beim Abstieg vom Grat hört der Regen auf. Ab und zu kommt sogar die Sonne durch. Als ich in der Unterkunft ankomme sind schon wieder die Hosenbeine trocken.

Von Grönenbach bis Wiggensbach

(Grönenbach/Wiggensbach, Mittwoch, 04.05.2011)

Vom Landhotel Grönenbach durch das Ortszentrum direkt auf den Jakobsweg! Nirgendwo eine Muschel, die den Weg weist! Ich folge der auf meinem GPS gespeicherten Route. Nach fünf Kilometern auf der Straße nach Legau dann das erste Zeichen, das mich überraschender Weise auf einen steilen Berg führen will und nicht in das Tal der Iller, auf das ich schon so gespannt war. Zunächst glaubte ich, die Jakobsweg-Strategen schämen sich, die Muschel an einer Autostraße anzubringen. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass sie durchaus verständlich den Weg geändert haben, ohne aber Wegweiser und Informationsmaterial auf den aktuellen Stand zu bringen. Um Altusried verschwindet die gelb-blaue Muschel ganz. An ihre Stelle tritt irgendwas Metallic-Farbenes. Nach einigen Unklarheiten beschließe ich nur noch strikt meinem GPS und anderen Wegweisern nach Altusried und Wiggensbach zu folgen.

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Zunächst mache ich jedoch den steilen Anstieg. Oben angekommen leitet mich die gelb-blaue Muschel sogar mit zwei Pfeilen bald wieder nach unten. Dabei handelt es sich um einen Pfad durch eine mit Stacheldraht eingezäunte Kuhweide, die nur durch ein spezielles Gatter betreten werden kann. Brennnesseln wachsen darin jetzt schon recht gut. Ich betrachte das Jucken an meinen Beinen positiv: „Gut gegen Rheuma!“

Weiter unten hat der Bauer beschlossen, den Bewegungsfreiraum seiner Kühe durch einen Elektrozaun einzuengen. Jedoch baute er damit auch eine Sperre auf dem Jakobsweg. Als ich einen solchen Zaun zu Zeiten der Bundeswehr überstieg, wurde ein Spannungsimpuls gerade dann ausgelöst, als ich den Draht zwischen den Beinen hatte. Ich will meiner müden Muskulatur den Luftsprung ersparen, nehme den Rucksack ab, schiebe ihn unter dem Zaun durch und rolle dann hinterher.

Am Ausstiegsgatter steht dann unvermittelt zunächst hinter Hecken verborgen eine neu erbaute Kapelle. Im Innern noch sehr bescheiden liegt jedoch ein Buch aus, in dem die Leute ihre Freuden, Sorgen und Nöte notieren können.

Dadurch motiviert schreibe auch ich: „Lieber Gott, bitte Verzeih mir all die Verwünschungen, die ich gegen die Planer des Jakobweges gerichtet habe. Es wird schon einen guten Grund haben, dass Du mich hierher geführt hast.“ Später habe ich dann keine Verwünschungen mehr ausgesprochen, sondern bin einfach meinem GPS gefolgt.

So habe ich überraschenderweise die Erste Bürgerbrücke Bayerns über die Iller gesehen, habe die Konflikte mit diversen Hofhunden ohne meinen Stock erfolgreich gelöst, und konnte doch noch eine gemütliche Zeit in Altusried und Wiggensbach verbringen.

Von Engetried nach Grönenbach

(Engetried/Grönenbach, Dienstag, 03.05.2011)

Gleich beim Weggehen in Engetried zeigen sich für den heutigen Dienstag zwei Trends. Der erste: die Steigungen werden länger, und es geht immer höher hinaus. Der zweite: der unterallgäuische Landwirt hat sein Gras eingefahren und beginnt, seine Güllevorräte auf die Wiesen zu schütten. Der damit verbundene aromatische Geruch dringt noch am Abend in meine Unterkunft in Bad Grönenbach.

Die Ausnahme ist Ottobeuren. Nicht nur geruchsmäßig! Die dortige Basilika ist schon eine atemberaubende Pracht.

Ich genieße für ein paar Stunden die Rückkehr in die Zivilisation. Auf einer Bank vor der Basilika schaue ich auf das Treiben auf den Marktplatz. Da fällt mir ein, dass ich meine Unterkunft noch buchen muss und hole mein Netbook aus dem Rucksack. Die staubigen Wanderstiefel, der große Strohhut auf dem verschwitzten Kopf, das Netbook mit UMTS-Stick auf dem Schoß, das GPS und die Digicam daneben auf der Bank stehen offensichtlich im Kontrast zu den Erwartungen der Passanten an einen Pilger. Für kurze Zeit drohe ich eine Touristenattraktion zu werden. Dabei hat das ganze einen rationalen Grund: meine Ausrüstung wiegt nicht mehr als Landkarten und ein dicker Reiseführer.

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Am Schluß gegen Grönenbach zu in einem eiszeitlichen Urstromtal wird die Luft feuchter. Unter den subtropischen Bedingungen fließt der Schweiß in Strömen. Zudem beginnt zum ersten Mal seit langer Zeit ausgerechnet jetzt eine Blase am rechten Fuß zu zwicken. Nur eine unglaublich tiefe Kiesgrube lenkt ab. Gott sei Dank bin ich nahe am Tagesziel.

Von Wörishofen bis Engetried

(Wörishofen/Engetried, Montag, 02.05.2011)

Nach einer ruhigen und erholsamen Nacht im Hotel Garni La Maison führt der Weg am heutigen Montag durch den Wörishofener Kurpark über Dirlewang und Markt Rettenbach nach Engetried in das Gasthof zum Goldenen Kreuz.

Meinen Zimmerschlüssel wird der Wirt an einem geheimen Ort hinterlegen. Denn er wird bei meiner Ankunft nicht da sein. „Und zum Essen gibt’s halt nichts!“ legte er gleich mal schwäbisch freundlich bestimmt bei meiner telefonischen Anmeldung fest. Weil am Montag ist Ruhetag! Das ist nicht nur im Goldenen Kreuz so, sondern scheint die Regel in der dortigen, zu dem noch sehr raren Gastronomie zu sein. Allein der Metzgerei in Markt Rettenbach verdanke ich mein kulinarisches Überleben auf dieser Etappe.

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In Köngetried sehe ich nicht ein, dass ich der offiziellen Jakobsroute auf der Autostraße folgen soll, wenn es eine Alternative mit weniger Gefahr gibt. Als ich dabei ein Gehöft passiere, kommt der Besitzer, als ob er den ganzen Tag nur darauf wartet, aus seinem Haus gestürmt und weist mich fürsorglich und nachdrücklich daraufhin, dass ich mich verlaufen habe. Alle meine Erklärungsversuche scheitern. Erst als ich zugebe, ich wusste nicht, dass der Köngetrieder Kirchturm schief ist, nimmt unsere Diskussion ein versöhnliches Ende.

Ich ziehe weiter nach Mussenhausen zur Wallfahrtskirche „Unser lieben Frau vom Berge Karmel“. Dort gibt es zwar jede Menge Beichtstühle und im besten Theologendeutsch blumige Ausführungen des Augsburger Bischofes über die Gnade der Buße. Ein Wirtshaus neben der Kirche gibt es jedoch nicht. Das war bis jetzt eigentlich immer garantiert.

Bei meiner Ankunft in Engetried war der Wirt dann doch da. Und er hätte mir auch etwas zu essen gegeben. Aber leider war ich vorher schon in der Metzgerei.

Von Türkheim nach Wörishofen

(Türkheim/Wörishofen, Sonntag, 01.05.2011)

Schluß mit Tagespilgern! Endlich geht es richtig los! In dieser Woche von Bad Türkheim auf dem Rest des Augsburger und dann dem Münchener Jakobsweg bis nach Bregenz an den Bodensee.

Um mich an meinen neuen großen Rucksack zu gewöhnen und die Stadt von Pfarrer Kneipp in Ruhe besichtigen zu können, belasse ich es an diesem schönen Sonntag bei Bad Wörishofen.

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Vom letzten Etappenziel in Türkheim an der Uferstraße laufe ich an der Wertach entlang vorbei an schon gemähten Wiesen mit duftendem Heu zum Wörishofener Stausee. Der scheint noch nichts vom Frühling mitbekommen zu haben, der Segelbetrieb liegt in jedem Fall brach. Dafür steht der Raps in voller Blüte.

Zum Abschluss dann Kurbetrieb in Wörishofen mit überfüllten Cafes und sogar einem Kurkonzert. Und das alles dank eines Pfarrers!