Vom Pfänder bis Diepoldsau

(Pfänder/Diepoldsau, Samstag, 01.10.2011)

Der Bodensee ist in dicken Dunst gehüllt als ich mit der Bahn in Bregenz ankomme. Die Herbstsonne hat es heute schwer den Schleier in den unteren Regionen noch einmal aufzulösen. Mit der Pfänderbahn kehre ich dann den Endpunkt meiner Frühjahrstour zurück. Dort ist man heute über den Wolken bei schönstem Bergwetter.

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Nicht den Spuren eines offiziellen Jakobweges folgend steige ich auf eigener Route nach Süden durch den herbstenden Bergwald über Fluh und Klemmbach in das Rheintal ab. Das gute Wetter und die besonderen Aussichten über die Nebel heben die Stimmung.

Spätestens in Lauterach tauche ich wieder in den Dunst. Der minimiert zunehmend die Sicht auf die Höhen und damit Funfaktor.

Bis zur Holzbrücke über die Dornbirner Ach auf der Straße zu gehen, entpuppt sich als Fehlentscheidung. Denn trotz Höhen-, Breiten- und Gewichtsbegrenzung scheint dies der bevorzugte Verbindungsweg der Lustenauer und Dornbirner zu sein. Ich flüchte mich deshalb auf die benachbarten Wiesen, die von unangenehm breiten Entwässerungsgräben durchzogen sind und mein alterndes Sprungvermögen strapazieren.

Nach langer Zeit und einer Anzahl österreichischer landwirtschaftlicher Massenproduktionsstätten ist das schweizerische Diepoldsau wieder die erste menschliche Ansiedlung. Ich bin froh, dass ich mein Hotel Rössli gleich kurz nach dem Grenzübergang Schmitter finde.

Ich habe Hunger und beschließe noch vor der Körperpflege zu speisen.

Metzgete wird beworben. Im Gegensatz zur bayerischen Schlachtschüssel sind hier die Bestandteile wie Blut-, Leberwurst und Backen nur separat zu erhalten. Ich begnüge mich dann mit einem Wädli und Rösti. Mein Appetit hätte durchaus aber noch Schnüfli und Züngli zugelassen.

Druck im Magen und ständiger Flüssigkeitsbedarf beherrscht die Nachtruhe.

Von Pattendorf bis Niedertaufkirchen

Nach einer guten Nacht verabschiede ich mich herzlich von meinen Gastgebern und werde zur Pattendorfer Kirche (mit Einsturz gefährdetem Turm) gefahren. Dort ist der Aufgalopp zur ersten Etappe des zweiten Tages nach Türkenfeld.

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Bis dahin hat es aber noch Zeit. Denn zunächst ist Pilgermesse. In solchen Fällen benutze ich den äußersten rechten Platz in der letzten Reihe auf der rechten Seite um vollständig aufzuwachen. Dieser liegt meist etwas dunkler unter der Empore.

Fast den gleichen Zulauf wie die Messe hat die Ambulanz im Sanitätskraftwagen. Dort kann man sich live über den State- Of-t he-Art der mobilen Blasenversorgung informieren und manchen Blick auf schön getapten Frauenzehen werfen.

Über Rottenburg geht es dann nach Türkenfeld. Noch ehe richtiges Wallfahrtfeeling aufkommt sitzt man dort in einem Bus, der einem an Landshut vorbei nach Vilsbiburg bringt.

Der freie Marsch vom dortigen Sportzentrum über den italienisch anmutenden Stadplatz zum Ausgangspunkt der zweiten Etappe auf dem gegenüberliegenden Mariahilfberg wird zum kulinarischen Ereignis. Die erste Metzgerei mit Warmtheke liefert ein paniertes Schnitzel mit Kartoffelsalat sowie zwei Apfelschorle und ein Coke Zero. Bei der Bäckerei ein paar Meter weiter gibt es eine Quarktasche mit einen Cappuccino. Den Abschluss bilden drei Kugeln Eis Schokolade, Zitrone und Joghurt aus der folgenden Eisdiele.

Auf dem Mariahilfberg angekommen suche ich mir ein lauschiges Plätzchen auf der großen Rasenfläche, gönne meinen Füßen die frische Luft, und döse dann vor mich hin. Heuer wird mich kein Wallfahrtwächter in die Andacht bringen!

Gegen Mittag brechen wir zu zweiten Etappe des Tages über Egglkofen und Neumarkt St.Veit nach Niedertaufkirchen auf.

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Es ist heiß geworden und ich beschließe in einem Waldstück auf kurze Hosen umzusteigen. Der Zug geht dabei ein ganzes Stück weiter. Es ist aber kein Problem, ihn wieder einzuholen. Zwar kann ich jetzt den Schutz der Versicherung nicht mehr genießen, dafür zumindest auf einer kurze Strecke das Gehen im eigenen Rhythmus.

In Egglkofen ist dann wieder Pause. Beim besten Willen komme ich wieder nicht an einer Leberkässemmel vorbei. Ein Liter Apfelschorle und ein halber Liter Wasser werden direkt zugeführt, die gleiche Menge als Vorrat mitgenommen.

Letztes Jahr ging es auf der B299 inmitten von Tanklastzügen nach Neumarkt. Heuer geht es über die Kuppen im Hinterland dorthin. Nach Neumarkt geht es gar auf eine Cross-Strecke bis zum Tagesziel nach Niedertaufkirchen.

Von dort erfolgt dann der Bustransfer zum Theo. Der Theo mit seinem Matratzenlager ist ein wichtiger Baustein der Übernachtungslogistik. Dass er seinen Pachtvertrag kündigte, war heute für viele das Thema. Im Nachhinein bin ich froh nicht bei ihm, sondern bei einer netten benachbarten Familie in einem Zimmer untergekommen zu sein, das ich nur mit einer anderen Person zu teilen brauche.

Trotzdem ließ ich es mir zum Abschluss des Tages nicht nehmen, das Lager zu inspizieren. Das Konzept ist einfach. Man nehme Matratzen woher auch immer und verteile diese lückenlos über den Tanzsaal, sämtliche Gänge und Abstellräume. Sogar in Kälberboxen soll schon geschlafen worden sein! Die Waschräume falls überhaupt vorhanden habe ich mir danach erspart.

Einen guten Wurstsalat hat der Theo aber allemal!

Von Riedenburg bis Pattendorf

Dem Faltblatt der Riedenburger Fusswallfahrer nach ist der Weg über Buch, Gut Schwaben, Weltenburg, Arnhofen und Rohr nach Pattendorf am ersten Tag der Wallfahrt mehr als 47 km. Ich bin gut vorbereitet und werde mit diesem Pensum einen persönlichen Tagesrekord aufstellen. Ich bilde mir darauf nicht unbedingt etwas ein, weil fast alle der nahezu 800 Teilnehmer(innen) ebenfalls ankommen werden. Fast schäme ich mich, ohne größere Plagen über die Runden zu kommen. Denn Wallfahren ohne Schmerzen kann jeder. Ich ziehe den Hut vor der Unvernunft all derer, die nach Altötting ohne Vorbereitung müssen, ihre zu erwartende Leiden bewusst in Kauf nehmen und aufgrund welcher Kraft auch immer überwinden. Mir ist das ein Rätsel.

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Es geht angenehm locker zu in Riedenburg an diesem frühen Donnerstagmorgen vor Pfingsten. Die Geschlechtertrennung ist aufgehoben: Frau und Mann beten miteinander und nebeneinander und nicht hintereinander. Kurze Hosen sind selbstverständlich. Selbst ein die knackigen Hinterbacken betonendes Triathlonoutfit mit hautengem Achselshirt und genügend Lücken zur freien Sicht auf eine nicht unbedingt katholische Vollkörpertätowierung regt keinen auf: ich hätte dieses Kostüm eher auf der Loveparade erwartet.

Die einzige immer wieder gestellte Forderung ist die Dreierreihe. Die Dreierreihe ist nach Gegrüßet seist Du Maria …,Vater unser im Himmel … und Erbarme Dich … mit die meistbenutzte Phrase. Sie wird mich/uns bis zum Ende begleiten.

Das Gezwitscher der Vögel beim Aufstieg durch den Zauberwald auf den Lintlberg am mahnenden Frauenstein vorbei, die belohnend weite Aussicht dort in Gottes freier Natur ohne störenden Autolärm und Besiedlung, all die Menschen mit dem spürbar guten Willen machen schnell die unbeantworteten Fragen und ungelösten Probleme von gestern unwichtig. Schon jetzt bin ich froh mitgegangen zu sein. Meine Auszeit hat begonnen. Nur das Döner Kebab, das ich gestern Abend noch schnell am Münchener Hauptbahnhof eingenommen habe, steckt unangenehm drückend irgendwo in den Eingeweiden fest.

Bei optimalen Wander- bzw Wallfahrtwetter legt das Führungskreuz eine überraschend schnelle Pace vor. Trotzdem kommt von meinen Füßen eine wohlige Rückmeldung. Sie scheinen froh wieder in den bewährten Stiefeln zu stecken und sich einmal wieder so richtig ausgehen zu können. Nichts drückt! Damit sind schon die größten Probleme ausgeschlossen.

Unerwartet schnell erreichen wir unsere erste Pausenstation Stausacker. Schon aus weiter Ferne verkündet lautes Geläute die Ankunft wie schon in Buch zuvor und in allen weiteren Etappenorte sofern deren Türme nicht durch Einsturz gefährdet sind.

Nach einem Weißwurstfrühstück studiere ich Wallfahrtstechnologie in Form eines mobilen Lautsprechers und der Donaufähre Stausacker.

Immer wieder treffe ich Bekannte, die ich teilweise Jahrzehnte nicht mehr gesehen habe. Der Tenor ist fast immer der gleiche: „Gerade Dich hätte ich hier nicht erwartet.“ Ich habe ein Imageproblem.

Nach der Mittagspause in Offenstetten heißen kurz vor Rohr die legendären Frommen Kinder, die nun schön langsam dem Kindesalter entwachsen, die Pilger in der Hoffnung auf einen kleinen Obolus willkommen.

Das Ankommen in Rohr vor einem Jahr mündete unbefriedigend direkt in einem Meier-Bus, der drei Minuten später nach Hemau abfuhr. Diesmal ziehen wir feierlich in die Kirche ein. Der neue Abt Markus lässt es sich nicht nehmen, die Pilger persönlich am Portal zu empfangen. In der nachfolgenden Begrüßungsrede zeigt er sich mindestens so tief über den Zug beeindruckt wie ich mich einmal mehr über den Asam-Altar. Diesmal bin ich richtig angekommen!

Der Weg nach Pattendorf ist dann nochmals ein hartes Auf-und-Ab. Erinnerungen werden wach an die Kälte des letzte Jahres als ich hier nur allzugerne Handschuhe angezogen hätte. Heute haben ich eher ein Wärmeabfuhrproblem.

In Pattendorf erhalte ich dann doch noch eine Übernachtungsmöglichkeit. Ich habe voll auf meinen Pilgerführer vertraut und bin nicht enttäuscht worden. Eine betagte 90-jährige Dame nimmt mich Wildfremden und noch drei andere wie selbstverständlich in ihrem Bauernhaus auf. Wir können uns duschen, erhalten ein ausgiebiges Abendessen und ein sauberes Bett. Und natürlich ein Frühstück am nächsten Tag! Und alles will man uns so recht wie nur möglich machen. Das Vertrauen, das die Gastgeber in meine Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit setzen, ist vielleicht das Wertvollste, das ich an diesem Tage erleben durfte: es gibt doch auch etwas Gutes im Menschen.

Von Simmerberg bis Pfänder

(Simmerberg/Pfänder, Samstag, 07.05.2011)

Ab und zu durch veredelnde Attribute ergänzt haben traditionelle Gasthäuser im Allgäu im Grunde nur drei Namen: Adler, Kreuz, und Krone. Am Montag und Mittwoch übernachtete ich in einem Goldenen Kreuz, am Donnerstag in der Weitnauer Krone, vom gestrigen Freitag auf heute in der Simmerberger Krone.

Von dort breche ich zur Abschlussetappe auf den Pfänder auf.

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In Weiler folge ich den Jakobsweisern. Überraschenderweise führen die aber vom Pfänder weg. Ich weiß nicht wohin. Aber nach einem Kilometer beschließe ich, schnellstmöglich wieder auf meine vorgeplante Route zurückzukehren. Schöne Bergwiesen mit einem bunten Blumenteppich sowie plastische Ausblicke in die immer näher kommenden Alpen mit immer noch schneebedeckten Gipfeln und Graten kompensieren die paar Kilometer Umweg.

In Scheidegg sehe ich dann wieder einen Jakobsweiser. Er zeigt in die Richtung aus der ich komme. Dorthin will ich nicht, sondern ins Scheidegger Zentrum zu einer Pizza Calzone mit einem gemischten Salat. Dazu zwei Apfelschorle! Meinen Körper dürstet es nicht mehr nach Weißbier, ein Wunder ist geschehen.

Mit vollem Magen geht es auf den Pfänderhöhenweg. Vor einem Hungerast brauche ich mich heute nicht zu fürchten. Doch mein Körper erinnert sich daran, dass ich gestern um die gleiche Zeit ein Mittagsschläfchen hielt. „Heute nicht, mein Lieber. Das Ziel ist nah.“

In der Ferne grüßt der Säntis. Vereinzelt geben lichte Stellen im Wald schon den Blick auf den Bodensee im dicken Dunst frei. Böiger Wind kommt auf. Schwarze Wolken bedecken den Himmel. Ab und zu spüre ich Regentropfen. Sollte ich so kurz vor dem Ziel doch noch eine Dusche abbekommen?

Auf jeden Fall nicht mehr in Bayern, dann schon in Voralberg! Dass Niederschläge notwendig sind, zeigt die wunderwirkende Quelle an der Ulrichskapelle, die nur ab und zu einen Tropfen fallen lässt. Wie sollen all die Augenkrankheiten gelindert werden, wenn sie versiegt?

Ab Möggers geht es in stetem Bergauf und Bergab dem Pfänder zu. Der Wunsch, endlich anzukommen, ist größer als die schönsten Ausblicke links und rechts zu genießen.

Und dann stehe ich in einem aufkommendem Sturm ganz alleine auf dem Pfänder. Alle Touristen haben sich schon verkrochen. Ich will aber das Ankommen wenigstens einige Minuten genießen. Zweitrangig ist, dass vom Bodensee fasst nichts zu sehen ist. Bregenz ist noch zu erkennen, Lindau nur noch schemenhaft zu erahnen.

Zufrieden steige ich ab zur Bergstation der Pfänderbahn. Bei der Talfahrt beginnt es zu regnen. An der Talstation schüttet es. Noch einmal Glück gehabt!

Hier wird es irgendwann nach einer Bergfahrt durch die Schwiez weitergehen! Vielleicht im Herbst! Vielleicht nächstes Jahr!

Von Weitnau bis Simmerberg

(Weitnau/Simmerberg, Freitag, 06.05.2011)

Am Freitagmorgen breche ich von Weitnau nach Simmerberg auf. Weil die Kirche meiner Übernachtungsstätte, dem Gasthaus Krone, gegenüber liegt, statte ich ihr einen Besuch ab. Kein Barock mit Skeletten in Vitrinen! Mal was anderes! Ich bin angetan!

Weitnau – Kirche

Meine Wirtin warnte mich! Ich solle etwas zu essen mitnehmen! Auf dem ganzen Weg nach Simmerberg gibt es kein Wirtshaus. „Aber wenigstens so was wie einen Bäcker oder Metzger!“ dachte ich mir. Nichts! Oder alles mit Umweg verbunden! Mit Käselädle konnte ich da noch nichts anfangen. So musste mein Überlebensgemisch aus Trockenobst und verschieden Nusssorten herhalten. Meinen Flüssigkeitsbedarf deckte ich aus den gleichen Stellen wie die Kühe. Vielleicht sollte ich das öfter tun, denn mein Body nimmt wirklich willig all die Ab- und Anstiege in Angriff.

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Bis auf das letzte Stück kurz vor Simmerberg entlang einer Autostraße war das bisher die schönste Etappe auf meinem Jakobsweg. Ein Hauch von Seiseralm!