Von Nasbinals bis Saint-Chély-d’Aubrac

(Nasbinals/Saint-Chély-d’Aubrac, Freitag, 23.06.2017)

Die Nacht verbrachten wir diesmal einfach auf dem nahen Parkplatz in Mitten einiger anderer Campingvans. Es ist ein Phänomen: bei Übernachten auf freien Plätzen bilden sie instinktiv eine Art Schutzburg wie in archaischen Zeiten gegen das Eindringen wilder Tiere.

Unser Freund aus Neckarsulm, der, statt mit ihm zu fahren, sein Fahrrad meistens auf dem Jakobsweg schiebt, kommt leider zum Frühstück zu spät. Ohne Zelt hat der Low-Cost-Pilger die Nacht im Waschraum des  hiesigen Campingplatzes verbracht, und muss jetzt ins Dorf, um sich zu versorgen. So bin ich heute einmal nicht der zu letzt Aufbrechende.

Die heutige Etappe nach St.Chely verspricht angenehm kurz zu werden. Nur der finale Abstieg von Aubrac wird das  schmerzhaft das Platzen der Oberschenkel androhen.

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Freilich geht es zunächst einmal aufwärts auf eine weite Alm. Kühe sind zwar nicht zu sehen, dafür aber sitzt Gil mehr schlafend als wach am Stamm einer alleinstehenden Eiche im Gras bewegungslos wie Faultiere sonst im Baum hängen. Ich habe ihm schon mehrmals gesehen und werde ihn noch mehrmals sehen, aber immer in der gleichen Haltung. Nie in Bewegung!

Die Höhe vor Aubrac ist eine Wetterscheide. Ist es diesseits des Passes noch wolkenlos, geht es jenseits durch eine Dunstschicht entlang der Zeichen  eines im Winter zum Skifahren benutzten Hanges hinab in das Kloster.

Seiner Mauern ähneln denen des Klosters im Film Namen der Rose!  Zur totalen Illusion fehlen nur noch die Inquisitoren. Was mag sich hier an diesem jetzt so abgelegenen Ort in alten Zeiten würdiges und unwürdiges abgespielt haben?

Der fantastische Sound eines Credo gesungen in französischer Sprache lockt mich in die Kirche. Die Teilnehmer eines Pfarrausflugs halten hier offensichtlich die obligatorische Messe. Französisch und Liturgie passen offensichtlich gut zusammen.

Leider muß ich diese Meinung schon beim nächsten  Lied revidieren: niemand kennt den Text richtig, einmal singt die linke Seite, dann die rechte, dann keine. Das Ende erlebe ich nicht mehr.

Da wird die Skulptur eines Aubrac-Kuh schon viel harmonischer auf dem Rastplatz davor.

Aubrac ist ein vielbesuchter Ausflugsort mit einigen Restaurants der gehobenen Klasse im kleinen aber feinen Zentrum. An einem Tisch sitzt Gil! Nicht ganz bewegungslos. Er ißt Suppe,und  führt stetig langsam den Löffel vom Teller zum Mund und nach einer kurzen Pause vom Mund zum Teller. Wahrscheinlich Bouillon vom Aubrac-Rind!

Wie dann ein Aubrac-Bulle aussieht, sehe ich beim Abstieg ins Tal. Wegen seiner Hörner und seiner schwarzen Flecken im Fell bezweifle ich aber seine Reinrassigkeit. Genetisch optimiert für mehr Marmorisierung und damit Geschmack im Lendensteak?

Um einen alten Vulkan und durch seine erkalteten Lavaströme steige ich steil ab nach St.Chely. Unten angekommen ist nun nicht nur der linke Kleine Zehen blau , sondern auch die beiden Großen.

Auf dem Campingplatz komme ich aus der Dusche. Dort sitzt Gil an einem Kastanienbaum gelehnt. Bewegungslos! Und er sitzt und sitzt über Stunden!

Auch ich sitze! Ich hänge in meinem Campingstuhl. Es gibt nichts schöneres als Sitzen, wenn man lange gegangen ist.

Von Aumont-Aurac bis Nasbinals

(Aumont-Aurac/Nasbinals, Donnerstag, 22.06.2017)

Von Aumont-Aurac haben wir nicht viel mitbekommen. Nach der gestrigen Ankunft geht es gleich auf den etwas außerhalb gelegenen Campingplatz. Wie üblich ist Personal nur zu bestimmten Zeiten zum Kassieren anwesend. Zum Öffnen der Schranke soll hier eine Telefonnummer angerufen werden. Bei einem leichten Druck von  unten auf den Balken öffnet sie sich aber doch wie durch Geisterhand. Wir verzichten auf den Anruf und das folgende Sprachgewirr und fahren auf den Campingplatz. Wenn sich einer aufregt dann „Nichts verstehen!“. Aber es wird sich keiner aufregen, da in Frankreich alles erlaubt ist, was nicht ausdrücklich verboten ist.

Während ich den Strom anschließe, fängt es zu schütten an. In wenigen Sekunden bin ich patschnass. Hagelkörner krachen auf das Dach. In wenigen Minuten steht der halbe Campingplatz unter Wasser. In leicht abgemilderter Form geht das einige Zeit so weiter. Platzregen im Campingvan ist sehr kurzweilig. Aber der Besuch in Aumont fällt flach.

Mittlerweile habe ich einen blauen linken Kleinzehennagel vom Druck beim Abwärtsgehen. Blaue Zehennägel sind für mich kein Problem. In den nächsten drei Monaten wird ein neuer den alten herausschieben, und an Weihnachten wird er vollständig  die Zehe zieren. Falls er nicht vorher wieder blau wird.

Bevor ich nach Nasbinals gehe, muss ich sie allerdings tapen, um den Nagel zu fixieren und unnötige Reizungen zu vermeiden.

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Ich lasse mich im Zentrum von Aumont absetzen und gehe los. Nach Unterquerung der A75 nur noch Ackerbau und Viehzucht! Später nur noch Viehzucht!

Kurz vor Lasbros steht mitten in einer Kreuzung eine Kapelle. Ich spendiere zwei Euro für eine Opferkerze und wünsche mir, dass alles so bleibt wie es ist.

Die Kombination  älterer Mann/jüngere Frau von gestern rastet schon in der einzigen Bar in Lasbros. Dahinter  werde ich bis Rieutort d’Aubrac  die nächsten Kilometer niemanden mehr sehen. Und auf der Hochebene kann man sehr, sehr weit sehen.

Aber nur Rinder und kreisende Greifvögel (noch keine Geier)! Generell sieht man auf dem Jakobsweg mehr Rindviecher als Menschen! Und auch viele Greifvögel!

Eau Potable soll es in Finieyols geben. Ich habe deshalb bewusst nur eine Flasche Wasser mitgenommen. Die zwei einladenden Bars sind geschlossen. Trinkwasser wird zwar zum Spülen des öffentlichen Stehklosetts verwendet. Der Brunnen ist aber trocken. Den entsprechenden Anschluss abzuklemmen, ist mir dann doch zu aufwendig. Ich brauche aber Wasser, und so muss ich das Eau Non Potable riskieren.

Ich komme immer höher. Die Hinkelsteine häufen sich. Abgetragene Gebirge und verwitterte Vulkane! Wie alt muss dieser Landstrich hier sein!

Von ganz oben ist dann doch schon Rieutort d’Aubrac am Horizont sichtbar. Dort sollte der Van auf einem Campingplatz stehen. Das verleiht neue Kräfte.

In Rieutort d’Aubrac ist zwar kein Campingplatz. Dafür aber eine schattige Raststelle mit Trinkwasser. Grund genug für einen Volksauflauf! Und wieder stellt sich die Frage: Wo kommen die plötzlich alle her?

Um die Ecke steht der Van. Die Fahrerin ist in einer lebhaften Unterhaltung mit einer Gruppe von Wanderern. Man kennt sich!

Da ist der Thomas und die Vroni aus Stamham, die Mittags immer Stunden schlafen, weil die Vroni mehr Kalorien verbraucht als sie zuführen kann. Da ist Jens, der Gourmet, der französische Speisekarten entziffern kann, von Hamburg nach Toulouse umgezogen ist, und von dessen Stiefeln sich die Sohlen gelöst haben.

Und sie sehen jetzt zum ersten Mal den sagenhaften Josef mit dem Campingbus und dem kleinen Rucksack, den noch keiner gesehen hat, aber von dem alle wissen, dass es ihn geben muss. Ein Mythos ist gebrochen!

Aller Illusionen beraubt ziehen sie bald weiter. Und ich folge ihnen weniger später frisch aufgetankt nach Nasbinals in einem wirklich flotten Schritt. Wenn’s läuft, dann läuft’s.

In Nasbinals gehe ich erst einmal zum Ankommen in die schöne Kirche der Heiligen Maria. Ein Bißchen Besinnung! Dann geht es hinter die Kirche in eine Bar, in der schon meine Gattin bei einer Tasse Kaffee sitzt. Ich trinke aber keinen Kaffee, sondern ein kühles Bier aus einer Art Pokal. Allein der erste Schluck ist die Anstrengungen des ganzen Tages wert.

Dann taucht aus heiterem Himmel Saundrine auf und gibt das versprochene Bier aus. Nur sie hat keine Zeit und muss noch irgendetwas erledigen. Die Schnittmenge der gemeinsamen Sprachkenntnisse erlaubt nicht mehr als einander Vorbeigeplappere.

Dann tauchen Thomas und Vroni auf, denen nun ich ein Bier ausgebe oder vielleicht auch zwei …

… dann wird es langsam dunkel, und wir gehen zu unseren Schlafplätzen.

Von Chapell-St.Roch bis Aumont-Aurac

(Chapell-St.Roch/Aumont-Aurac, Mittwoch, 21.06.2017)

In der Nacht regnet es heftigst. Am Morgen ist der Himmel wieder blau. Es ist angenehm kühl. Der filzige Wiesenbelag hat das Wasser gierig aufgesaugt. Tau bedeckt die Gräser. Absolute Stille bis auf zwitschernde Vögel!

Der einzige Gast des Refugiums scheint schon weg zu sein. Auf jedenfall sucht er die Toilette nicht mehr auf. Vereinzelt tröpfeln Pilger vorbei, die die Nacht wahrscheinlich in Le Sauvage verbracht haben. Ich lasse mir Zeit, sehr viel Zeit! Notfalls kann ich bis Sonnenuntergang gehen.

Eigentlich will ich nur bis Les Estrets gehen. Rein planerisch sind die zwanzig Kilometer dann voll. Weil ich dort aber noch nicht zu müde bin, gehe ich dann doch noch bis Aumont-Aurac. Von der heutigen Starthöhe auf eine leichte, weil abfallende Etappe zu schließen, wäre ein tragischer Irrtum.

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Ich starte in noch frischer Höhenluft abwärts nach St.Albin-sur-Limagnole.

Nach kurzer Zeit der erste Stop wegen Steinchen in meinem Stiefel! Dann der zweite Stop! Dann noch einmal ein Stop! Der Regen der vergangenen Nacht hat diese aus dem mergeligen Wegbelag ausgespült. Beim Treten springen sie in die Luft und fallen mit einer gewißen Wahrscheinlichkeit genau zwischen Stiefelschaft und Socken, tauchen zur Sohle, nerven durch ständiges Picken und bilden eine Gefahr von Blasen. Mein Alptraum! Abhilfe schafft schließlich das Stülpen der Socken über den Stiefelschaft. Und zwischen Socken und Haut können die Plagegeister dann doch nicht eindringen.

So schaffe ich es mit einiger Verspätung, dann doch nach St.Albin. Eigentlich auch ein Kaff, das sich aber nach den letzten Tagen wie eine Rückkehr in die Zivilisation anfüllt.

Ich habe schon wieder Hunger und verzehre meine Sandwiches gleich auf einmal auf der Tribüne vor dem Kirchplatz, einem kurzweiligen Akkumulationpunkt für Pilger, die plötzlich aus dem Nichts auftauchen. Eau potable ist verfügbar. Da heißt es, sich selbst und seine Vorräte bis zum Überlaufen aufzufüllen. Prophylaktisch ziehe ich auch noch die Stiefel aus, um auch noch nicht gefühlte Sandkörner zu entfernen.

So braucht es nur noch die spirituelle Stärkung in der Kirche. Ich liebe französische Kirchen, weil sie im dunklen Inneren himmlisch kühl sind, und von all dem barocken Klamauk heimatlicher Gotteshäuser befreit die Wurzeln des Glaubens (wie es in meine Wenigkeit sieht) fokussieren.

Beim Eintreten sehe ich zum ersten Mal Saundrine beim Verlassen derselben. Noch weiß ich natürlich nicht, dass sie so heißt. Vielmehr denke ich: „Du arrogante Kuh!“, weil sie die erste Person seit Le Puy ist, die nicht grüßt.

Wahrscheinlich war es hier, dass sie Maria (siehe unten) um Hilfe auf der Etappe und einen guten Ausgang gebeten hat. Vielleicht war sie so vertieft, dass sie mich einfach nicht wahrgenommen hat.

Das zweite Mal sehe ich sie unter einer Herde von rastenden Wanderern an einer Trinkwasserstelle in Chabennes. Dort will sie auf Teufel komm raus wissen, wie weit es noch nach Aumont ist. Als sie diese nicht zur Zufriedenheit erhält, packt sie wütend ihren Rucksack und rennt los. Ob schon mit Stock oder ohne Stock, weiß ich nicht.

Rennen ist hier nicht ganz übertrieben. Denn sie marschiert wahrlich strammen Schrittes in ihrem auf der Via Podiensis einmaligen Kampfrock, so lange es eben ist. Geht es dagegen aufwärts, bleibt sie fast stehen wie überladene Lastwagen, die die Geislinger Steige oder den Aichelberg nur im Kriechgang auf der Standspur hochkommen.

So weitet und verkürzt sich der Abstand bis Les Estrets.

Eigentlich will ich dort aufhören. Aber im Gite d’Etape mobile unter dem örtlichen Friedhof gibt es jetzt Apfelschorle, eine Banane, und zwei Nektarinen, die in mir noch einmal den Tiger im Tank wecken. Nachdem die zwanzig Kilometer noch nicht voll sind, beschließe ich nach einer Stunde bis Aumont weiterzugehen.

Ich biege um eine Straßenecke. Dort an der Bar verbringt der Haufen Mitwanderer offensichtlich seine Mittagspause. Saundrine ist gerade im Aufbruch begriffen. Jetzt mit Stock! Schnell ist sie in ihrem Ebene-Trott und legt ein paar Meter zwischen uns.

Doch schon naht das Übel in Form eines saftigen Anstiegs. Schnell komme ich näher, und muss mitansehen wie sich ihr linker Wadenmuskel verformt wie Blech beim Biegen zu einer Dachrinne. Nocheinmal belastet sie den Fuß und zuckt mit Schmerz verzerrten Gesicht in sich zusammen. Aus den Erfahrungen meiner abgebrochen Fußballerkarriere weiß ich, da geht jetzt nicht mehr viel.

Wir stehen eine Weile. Dann bricht die anerzogene Prägung zur Kameradenhilfe aus meiner ehemaligen Soldatenzeit hervor. Da ist es eine Selbstverständlichkeit in einer solchen Situation auf Märschen das Gepäck des anderen zu übernehmen. Ich halte mich für fit genug, und biete ihr an, unsere Rucksäcke zu tauschen.

Das hat sie nicht erwartet. Zum ersten Mal sehe ich ein Lächeln, auf ihrem sonst eher versteinert wirkenden Gesicht. In meinem Rucksack ist nur eine Flasche Wasser. Als sie dessen relative Leichtigkeit spürt, kehrt sichtbar die Hoffnung zurück, es zu schaffen. Ihr Rucksack liegt gut auf meinen Schultern, sein Gewicht ist dann fast Nebensache.

Unterwegs überholen wir ein Pärchen mit einem offensichtlichen Alterunterschied. Der ältere Mann kriecht mehr als er geht, während die jüngere Frau in etwas größerer Entfernung geduldig wartet. Ich sage: „Mann mit junger Frau!“ Sie sagt: „Alter Mann mit Tochter!“ Ich sage nicht, dass der alte Mann vielleicht jünger ist als ich.

Irgendwann fragt sie mich auch mal nach meinem Namen. Josef assoziiert sie mit Maria (siehe oben), und es bricht es in gebrochenen Englisch sinngemäß heraus: „Am Morgen habe ich zu Maria gebetet, dass ich gut ankomme. Als ich zum bergab gehen eine Stütze brauchte, habe ich den Stock unter einem Strauch gefunden. Als ich am Berg nicht mehr weiter konnte, ist Josef gekommen.“

Es ist mir schon etwas peinlich, Hauptakteur in einem Wunder zu sein. Aber sie scheint schon sehr überzeugt.

Da gefällt mir schon besser, dass sie mich vor dem Abstieg zu einem Bier in Aumont einlädt.

Freilich wird daraus nichts, weil das Gite d’Etape mobile schon am Ortseingang wartet.

Von Saugues bis Chapell-St.Roch

(Saugues/Chapell-St.Roch, Dienstag, 20.06.2017)

Vom Campingplatz in Saugues breche ich auf zur Chapelle-St.Roch. Eigentlich sollte es ja bis nach St.Alban-sur-Limagnole gehen. Aber ich will keinesfalls mehr als 25 Kilometer laufen. Schließlich geht es auf das Dach der Via Podiensis mit über 1300 m.

Leider vergesse ich am Ziel meinen Track zu speichern, so dass es jetzt keine Karte gibt.

Es geht zunächst durch eine landwirtschaftlich geprägte Gegend. Die Bauern bringen ihr Heu ein.  Häufig treten an die Stelle der Äcker und Felder lichte Kiefernwäldern, die wenigstens für ein Bißchen Schatten sorgen.

In La Clauze werde ich auf einen Turm aufmerksam, von dem ich mir keine Vorstellung machen kann, was der hier soll.

Weiter geht es auf der D335. Mein Magen mahnt zur Nahrungsaufnahme. Ich setze mich ganz einfach unter einem Baum direkt an der Straße und genieße den Schatten. Die leicht geneigte Böschung erlaubt sogar ein bequemes Liegen. Bestimmt über eine Stunde halte ich mich dort auf. In der passiert genau ein Auto und ein Wanderpärchen. Wo sind die anderen?

Der Höhengewinn seit Saugues hält sich in Grenzen. Es dauert noch bis Chazeaux bis dann die letzten zweihundert Höhenmeter anstehen. Die kleine Differenz senkt die Temperatur angenehm, die Luft wird klarer. Der Gelbe Enzian macht sich auf den Almen breit. Erstaunlich wie sich ein paar Höhenmeter auswirken.

Mittlerweile verdunkeln mehr und mehr Regenwolken ab-und-zu angenehm die Sonne. Mit der Zeit wachsen sich diese immer zu höheren Gewittertürmen. Ein Unwetter mit Hagelschlag möchte ich gerade hier nicht erleben. Ich bin aber zuversichtlich, dass es bis dahin noch einige Zeit dauern wird.

Dann folgt der leichte Abstieg nach Le Sauvage, das die Tempelritter zum Schutze der Pilger errichteten. Heute ist dort eine Auberge. Es stehen auch einige Autos rum. Wie sind die in das Middle of Nowhere gekommen? Ich kann keine freie Zufahrt erkennen.

Zum Col d’Hospital mit der wundertätigen Quelle des heiligen Rochus ist es nicht mehr weit. Ich versäume es, mich an ihr zu laben.

In der Chapelle St.Roche bedanke ich mich im Anfall einer emotionalen Wallung bei einer höheren Instanz, dass es mir so gut geht. Im allgemeinen und speziell auf der Tour! Ich bin schon zufrieden, wenn alles so bleibt. Speziell keine Blasen!

Es steht das Gite d’Etape mobile zum Empfang bereit. Es gibt Makkaroni Bolognese mit Tomatensalat. Danach eine kurze Dusche mit dem warmen Wasser aus dem Wohnmobil. Der Rest des Tages erschöpft sich mit der Beobachtung des Geschehens vor der Kapelle, das sich hauptsächlich im Hin-und-Hergehen zwischen dem angebauten Refugium und der absetzten Toilette des einzigen Nutzers erschöpft. Gleichzeitig massiert meine Hospitalera die Beinmuskulatur mit dem neu entdeckten Wundermittel, überraschend wohlriechenden Pferdebalsam.

Von St.Privat d’Allier bis Saugues

(St.Privat d’Allier/Saugues, Montag, 19.06.2017)

Wir verbringen eine angenehme Nacht und Aufenthalt auf dem Campingplatz in St.Privat d’Allier. Zunächst verschmäht wegen seiner Schattenlosigkeit kehren wir nach einer längeren Suche nach einem dunkleren Stellplatz zurück. Wir haben keinen solchen gefunden, dafür aber eine Menge atemberaubender Ausblicke in die Schlucht des Allier genossen. Eine Rundfahrt auf der D40 kann ich nur empfehlen. Am späteren Tag  hat auch dieser Platz genügend schattige Fleckchen.

Wir sind nicht die einzigen Gäste, aber die einzigen mit einem Campingvan. Es gibt auch welche mit einem Zelt. Dann gibt es welche ohne Zelt, die im Gras oder im Waschraum nächtigen. Aber alle sind auf dem Jakobsweg.

Ich bin der letzte, der aufbricht. Wieder habe ich ungefähr zwei Stunden mit dem Frühstück verbummelt. Frühstück ist einfach toll! Mit drei Liter Wasser im Rucksack mache ich mich dann auf den Weg nach Saugues.

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Ich werfe noch einmal einen Blick zurück auf das auf einen Felssporn in der Allierschlucht erbaute Wahrzeichen, einer ehemaligen Abtei, und auf die Hochebene des En Valley.

St.Privat mit Abtei
St.Privat mit Abtei

Dann geht es ab in den schattigen Wald. Steine in der Form eines Jakobspilgers gebracht weisen den zunächst ansteigenden Weg in Richtung  Monistrol d’Allier, das aber ein paar hundert Meter tiefer liegen soll.

St.Privat Steine
St.Privat Steine

Steil geht es dann bergab nach Monistrol. Mein Körper erinnert sich an gestern und reagiert auf ein paar hundert Meter unnötige GR65 Umwege mit einer gewißen Unlust und Müdigkeit. Schon nach ein paar Kilometern spüre ich ein alles zu verschlingen drohendes Loch im Bauch, das zu neuer Nahrungszufuhr aufruft, obwohl im Darm Gase zu brodeln beginnen, die überraschend schnell eine Abfuhr von Abbauprodukten nötig machen können. Mit ungewaschenen Pfirsichen kommt mein Verdauungstrakt immer noch nicht klar.

Monistrol
Monistrol

So bummle ich in das um ein Wasserkraftwerk erbaute, verschlafene Monistrol und überquere den Allier  auf der Eiffelbrücke. Ich hätte vielmehr Lust in einem der gerade unter mir durchschwimmenden Raftingboote zu sitzen, als gleich wieder das Gegenufer erklimmen zu müssen.

Von immer tiefer unten klingt das vergnügte Lachen aus den Raftingbooten in der Schlucht ,während ich mich den Pfad durch eine steil abfallende Schieferwand hochschwitze.

St.Privat mit Abtei
St.Privat mit Abtei

Immer intensiver wird die Suche nach einem auch für einen Mittagsschlaf geeigneten Pausenplatz. Dieser wird dann schließlich in einem aufgelassenen Steinbruch zum Abbau eines Vulkankegels gefunden.

Monistrol Vulkan
Monistrol Vulkan

Ich mache dann auch über eine Stunde Mittag. Schlafen kann ich aber nicht. Bis auf zwei Wanderinnen ist in dieser Zeit niemand vorbeigekommen. Wo sind die von gestern alle hingekommen?

Hoch zur Margerite! Weiter mit 500 Höhenmetern auf 5 km! Soviel weiß ich noch!

Kaum gestartet erreiche ich nach zwei Serpentinnen völlig überraschend (wegen mangelnder Vorbereitung) die Felsenkirche von Escluzels.

Monistrol Felskirche
Monistrol Felskirche

Die gesichteten Wanderinnen haben großen Spaß mit dem Wächter des Heiligtums in alter Pilgermontur. Und er offensichtlich auch, wenn er sie zum Posieren für ein Foto in die Arme nimmt. Er stempelt den Pilgerpass, bietet Kerzen für die Marienaltäre und Jakobsmuscheln. Den Preis bestimmt der Käufer. Er scheint dabei nicht schlecht weg zukommen.

Monistrol Felskirche
Monistrol Felskirche

Angenehm kühl ist es in der Kirche. Beim Verlassen schlägt einem die heiße Mittagsluft wie eine Feuerwand entgegen. Der Atem stockt. Über das, was mir jetzt bevorsteht, kann nicht einmal der grandiose letzte Blick über die Schlucht des Allier hinwegtrösten. Freilich brauche ich diesen Trost nicht, weil ich gar nicht richtig weiß, was mir bevorsteht (wegen mangelnder Vorbereitung).

Monistrol Anstieg
Monistrol Anstieg

Steile Treppen zum Dorf Escluzels selbst sind nur der Anfang. Nach Durchquerung geht es für einige Kilometer Serpentine für Serpentine durch den Wald dahinter hoch in das Dorf Monaure auf die Magerite Hochebene.

Da sitzen und liegen sie nun links und rechts des Weges: die vorher nicht gesichteten Pilger mit den Wasserflaschen in den Händen jedes Fleckchen Schatten nutzend.

Mir geht es erstaunlich gut. Meinen Körper habe ich bei Beginn des Anstiegs noch einmal gut gewässert. Allerdings ist von meinen zwei Wasserflaschen nur noch eine halbvoll. Und es soll keine Verpflegungsstellen bis Saugues geben.

Nur ist eine dieser Nordic Walking Pilgerinnen mit den klickenden Stöcken kurz hinter mir. Auf Teufel komm raus müssen sie überholen.

Meine psychische Disposition lässt das noch nicht zu, und so stemme ich meine 118 kg mit einer Geschwindigkeit den Berg hoch, die zumindest den Abstand nicht geringer werden lässt: immer in der Hoffnung, sie setzt sich bei der nächsten Serpentine auch in den Schatten. Tut sie aber nicht.

Wenn ich anscheinend gelangweilt zurückschaue, glaube ich mich fast von einem Sarazenen in der Wüste verfolgt mit dem um den Kopf und dem Gesicht zum Schutz gegen die Sonne gewundenen schwarz-grau-kariertem Tuch, aus dem nur die schwarz glänzenden Gläser der Sonnenbrille hervorstechen.

Und ausgerechnet bei der letzten Serpentine kommt sie dann doch nicht an dem zum gemütlich verweilenden einladenden Baumstumpf vorbei. Kein Ticken mehr!

Ich muss trinken und leere meine Wasservorräte. Ich werde es schon bis Sausages aushalten!

Beim Eingang nach Monaure sehe ich einen Wasserhahn an einem Haus. Und ich bin tatsächlich kurz davor, über den Zaun zu springen, um meine Vorräte aufzufüllen. Doch meine Not ist noch nicht groß genug!

Dann geht es schon wieder bergauf. Oben eine große Menschenmenge! Was ist denn hier los?

Die Ursache ist ein kleines verchromtes Knöpfchen mit einem blauen Punkt. Drückt man drauf, kommt frisches Wasser raus! Es war nie so wertvoll wie heute.

Es ist noch ein ganzes Stück in der heißen Sonne bis Sausages. Doch allein die Gewissheit, genügend Wasser zur Verfügung zu haben, beflügelt. Mein Strohhut liefert genügend Schatten.

Die Pilger tröpfeln langsam in das Dorf, um das bis vor 250 Jahren das Biest von Gevaudan wütete. Jetzt bin ich hier und bewundere erst einmal die eigenartigen Skulpturen, die einem schon das Gefühl geben, an einem etwas anderem Ort zu sein!

Saugues Skulpturen
Saugues Skulpturen