Von Assieu bis Chavanay

(Assieu/Chavanay, Samstag, 25.06.2016)

Die Nacht in Revel obwohl nahe einer Siedlung war sehr ruhig. Theoretisch ist zu erwarten, die Nacht auf dem Mont-de-Surieu bei einem Kloster weit weg von einer Ortschaft muss noch ruhiger sein. Dies vermutet wohl auch die Jugend der umgebenden Dörfer und sucht dieses Plätzchen auf, wenn sie ungestört sein will. Paradoxer Weise führt dies zu einem erhöhten wenn auch nicht zu lautem Verkehrsaufkommen, das erst Gewitter mit heftigsten Regenschauern beenden.

Nach einem gemütlichen Frühstück geht es am Morgen zurück nach Assieu zum Ausgangspunkt der Etappe nach Chavanay.

Download GPX

Der Weg ist flach und gesäumt von Obstplantagen. Doch, o Schreck, die Kirschen sind schon abgeerntet und die Pfirsiche noch nicht ganz reif.

Bei der Annäherung an die nächste Ortschaft erscheint ein Paar in Begleitung eines Kindes. Sie trägt einen weißen, er einen schwarzen Trilby-Hut. Viele tragen jetzt diesen in Frankreich und ich denke: „Ah, eine junge französische Familie beim Spaziergang.“

Bei weiterer Annäherung erkenne ich: sie trägt ein elegantes die schlanke Figur betonendes, luftiges Sommerkleid mit Blumen in den französischen Nationalfarben, er trägt eine braune Seidenkrawatte und eine Hose wie ich es nur bei Hochzeiten oder Beerdigungen pflege. Ich denke an einen britischen Kollegen, der auch das Tragen von Krawatten nicht lassen kann, und glaube jetzt: „Ah, eine britische Familie, die hier ihren Urlaub verbringt. Die spinnen doch.“

Als wir aufeinander treffen, spricht sie mich auf französisch an. Das ist nicht ungewöhnlich, denn die Franzosen quatschen einen oft an. Ich konzentriere mich dann auf meinen Standardsatz nach zwanzig Stunden VHS-Französisch: „Je ne parle pas Francais! Je sui ..„. Sie unterbricht auf deutsch: „Ah, Deutscher! Mein Mann ist auch Deutscher! Oh, welch ein Zufall!“

Es folgt der übliche Standarddialog: Woher, Wohin, Warum. Er hat gar nicht gewusst, dass der Jakobsweg hier vorbeiführt. Er weiß eigentlich gar nicht, was der Jakobsweg ist. Er findet das toll! Hauptsache, ich rede!

Unterbewusst sehe ich eine Ähnlichkeit mit den Werbetrupps der Zeugen Jehovas, die immer wieder einmal den Wachtturm an der Donauwörther Wörnitzbrücke oder irgendeiner Fußgängerzone anpreisen.

Meine Gegenüber können offenbar Gedanken lesen. Er gibt mir seine Visitenkarte, sie holt aus ihrer wohlgeordneten Aktenmappe mit Reißverschluss einen Flyer über JW.

Wir verabschieden uns freundlich unter geernteten Kirschbäumen, noch nicht reifen Pfirsichen auf einem Feldweg, der nicht einmal als zum Jakobsweg gehörig bekannt ist.

Der weitere Weg muss einfach gegangen werden. Es geht über Autobahnen und Bahntrassen. Es geht ein Atomkraftwerk entlang in der Hoffnung, die karbonisierten Zementmauern mögen noch möglichst lange halten, und die Verantwortlichen wissen, was sie tun. Es gilt, über Leitblanken zu klettern und neben viel befahrenen Autostraßen in der heißen Sonne zu gehen.

IMG_20160625_124053

Nicht einmal die Überquerung der Rhone steigert die Stimmung. Hauptsache drüben! Freilich ist die Aussicht auf Chavanay viel versprechend.

IMG_20160625_124210

Um die Wasservorräte aufzufüllen und die Akkus zu laden, werden wir heute auf einem Campingplatz nächtigen.