Von Jongieux bis St Maurice de Rotherens

(Jongieux/St-Maurice-de-Rotherens, Donnerstag, 07.05.2015)

Pünktlich um sechs Uhr schmeißt der Bauer seinen Traktor an und beginnt auf seinem Weinacker gegenüber unserem Schlafplatz mit Giftspritzen. Offensichtlich ist der Savoy kein Bio-Wein. Allein schon vom Hinsehen bekomme ich einen Hustenfall. Kurz überlege ich, ob wir nicht flüchten sollen. Aber der Winzer scheint sich von uns wegzuarbeiten. Gott sei Dank habe ich einen Grund gefunden, noch in meinem Bett zu bleiben.

Zeit genug für meine Sohlen, Blasen zu melden.

Ich mache es mir auf einem Sitz bequem. Das bewährte Operationsbesteck in Form einer Sicherheitsnadel liegt bereit. Mit einigen Verrenkungen gelingt eine Sicht auf die Sohlen. Am rechten Fuß schaut es ganz gut aus: nach dem Aufstechen wird sich die Haut wieder anlegen, Pflaster drauf, und alles ist gut. Am linken Fuß schaut es nicht mehr so gut aus: eine Blase weitet sich über den ganzen Zehenballen über einer anderen. Es ist ein Genuss, beim Aufstechen das Wasser in einer hohen Fontaine spritzen zu sehen. Was überbleibt ist etwas runzliges, das sich beim Gehen immer schön hin und her verschieben wird. Darüberhinaus sind auch die zwei kleinen Zehen befallen. Bei einer ist sogar schon die Oberhaut weggerißen und die Unterhaut sichtbar. Das wird bei Kontakt brennen. Als Wehrpflichtiger bei der Bundeswehr der Paradefall für vierzehn Tage Innendienst!

Mit Blasenpflaster und handwerklichen Geschick kriegt das meine Frau schon in den Griff. Es wird Zeit, dass sie endlich aus den Federn kommt und alles abklebt und stabilisiert. Nach einer Nachoperation zum während des Frühstücks wieder angesammelten Blasenwasser gelingt dies aus. Zumindest habe ich beim Auftreten keine Schmerzen.

Dann starte ich nach Saint-Maurice-de-Rotherens. Der steile Talabstieg gleich zu Beginn und die dabei auftretenden Scherrkräfte sind natürlich für den Pflasterhalt nicht von Vorteil.

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Über Jongieux-le-Haute geht es im schrägen Morgenlicht durch die Weinberge zur Chapelle Saint Romain. Über die Skulpturen kann man sich streiten …

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… der Ausblick hinter der Kapelle über das Rhonetal ist in der Tat nur eines: einmalig.

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Dort muss ich nun hinunter. Es ist rutschig: immer die Gefahr plötzlich mit dem Allerwertesten auf einem spitzen Stein zu landen! Es ist steil: ständig die Knie in den Kehren verdrehen! Die nassfeuchte Kühle unter dem Laub lässt mich nicht auf Touren kommen. Außerdem habe ich schon wieder Steine in meinen Schuhen. Körper und Kopf habe keinen Bock. Morgen mache ich Pause!

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Unten in der Ebene geht es der Rhone entlang. Pfützen, tiefer Morast und verdreckte Brennnessel hellen meine Stimmung nicht auf. Ich will Sonne, Licht, Rosen und den Duft von Flieder.

Ich bin hungrig und müde. Ich will essen und schlafen. Aber Yenne ist noch weit und noch nicht einmal ein Viertel des heutigen Pensums liegt hinter mir.

Dort ein Wunder: eine Bank umrundet von gepflegten Grün steht auf dem trockenem Pflaster eines ruhigen Platzes im warmen Sonnenlicht! Fliederduft! Schuhe runter! Brotzeit raus! Der richtige Platz für die Mittagspause!

Eine frühlingshaft bekleidete jüngere Französin kommt aus einer Gasse, schaut sich kurz um, setzt sich nach Zurechtrücken ihres Röckchens die langen Beine überschlagend auf eine kniehohe Mauer mir schräg gegenüber! Olala, ich vergesse fast das Kauen.

Eine gewiße Spannung liegt für kurze Zeit in der Luft, dann taucht eine weitere Frau auf nicht weniger ansehnlich und plaziert sich in einem gewißen Abstand neben sie. Was ist denn hier los?

Ich stehe durchaus unter Beobachtung als eine Mutter schon wieder schwanger mit zwei kleinen Kinder auftaucht, diese neben mich auf die Bank setzt und sich freundlich lachend, direkt vor mich stellt. Wo bin ich denn hier gelandet?

Genau das ist die Frage! Dezent drehe ich den Kopf und bemerke ein Gebäude hinter mir, vor dem die blaue Europaflagge mit den gelben Sternen und die französische Trikolore wehen. Als noch mehr Personen mit dem Blick dorthin gerichtet stehen bleiben, dämmert langsam, dass ich hier wohl vor einem Kindergarten sitze. Der ganze Auftrieb dient wohl dem Abholen der Kleinen. Bevor diese herauskommen und unter lautem Gejohle mit den Fingern auf mich zeigen mache ich mich schön langsam aus dem Staub bzw auf den Berg.

Beim Studieren einer Infotafel wird mir erst vor Ort bewusst, dass ich über den Mont Tournier soll. Hätte ich das vorher gewusst, was ich zweifellos hätte können, wäre schon heute der Pausentag. Aber wie einer sagte: „Der Jakobsweg ist wie eine Wundertüte: hinter jeder Ecke eine Überraschung“.

Den initialen Anstieg auf den großen Felsen nehme ich gelassen. Anstiege suggerieren, man hat etwas erreicht.

Trotzdem bin ich oben nicht offen für die Ausblicke auf dem Weg. Schon genug geblickt! Ich habe keine Lust auf die Aussichtsfelsen, die ein paar Meter vom Hauptweg abliegen. Schon wieder ein Umweg!

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Trotzdem bin ich oben nicht offen für die neue, nun mehr mediterrane Flora! Immerhin setzt der Ginster ein paar gelbe Farbpunkte ins Grün!

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So macht das keinen Sinn! Es kann nicht sein, eine so schöne Tour zu laufen, nur das sie gelaufen ist! Statt auf das GPS zu schauen und zu sagen: „Was? Erst soviel gegangen!“ werde ich sagen: „Oh! Schon soweit!“. Ich habe alle Zeit der Welt.

Den Abzweig zum nächsten Aussichtfelsen lasse ich dann nicht rechts liegen. Ich nehme die hundert Meter Umweg in Kauf! Ich habe schon lange nicht mehr soviel von einem Ort aus gehen wie von dort! Zudem ist dort eine Bank! Mit dem Rucksack als Kopfkissen lege mich dorthin. Der Strohhut dunkelt mein Gesicht ab und ich schlafe sofort ein. Erst ein leichter Sonnenbrand am Arm lässt mich wieder aufwachen.

Die Strecke bis kurz vor den Mont Tournier ist wellig auf hohem Niveau. Der Aufstieg zu einer Art Pass braucht dann schon noch die letzten verbliebenen Körner. Psychisch ist das verkraftbar, weil Saint Maurice leicht abfallend ohne steilen Abstieg erreicht wird.

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Zehn Minuten zum Gipfel sind mir dann doch zuviel. Freilich komme ich nach zwanzig Minuten wieder zu einem Schild mit zehn Minuten zum Gipfel. Daraus lässt sich folgern, dass die Route auch über den Gipfel ohne Umweg hätte führen können. Der geneigte Leser möge dies selbst als kartographische Übungsaufgabe nachvollziehen.

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Der merkwürdige Steinkopf ist in jedem Fall sehenswert. Es ist nicht bekannt, ob Druiden ihn als Altar bei keltischen Opferritualen benutzten. Allerdings soll er zur Pionierzeit der drahtlosen Telegrafie Aufhängepunkt einer Langwellenantenne über den Mont Tournier gewesen sein. Der geneigte Leser möge dies im Museum in Saint-Maurice überprüfen.

Am Ortseingang von Maurice erwartet mich pünktlich meine Frau. Sie hat es nicht nur geschafft, den Ort zu finden, sondern die Gite d’Etape Mobile durch die engen Straßen vor die Mairie zu chauffieren. Der Bürgermeister hat nichts dagegen. In der Heimat ein Skandal!

Dazu hat sie ein halbes Hähnchen mitgebracht. Mittlerweile mehr kalt als warm, genieße ich es wie ich noch nie ein Hähnchen genossen habe! Das erste Fleisch seit Ostern!

Die Kraft schießt in meine Glieder! Morgen gehe ich weiter.

Von Seyssel bis Jongieux

(Seyssel/Jongieux, Mittwoch, 06.05.2015)

Wieder gut geschlafen, Wassertank voll, Akkus aufgeladen! Alles klar, um sich nach Jongieux auf den Weg zu machen! Das werden heute wohl über die dreißig Kilometer werden.

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Ich verzichte auf den Regenschirm. Nach einer klaren Nacht scheint die Sonne schon am Morgen am blauen Himmel. Jetzt noch kühl deutet alles auf einen warmen, trockenen Frühlingstag.

Ich habe gute Beine. Sogar die Fahrradautobahn entlang der Rhone mit dem Teerbelag sehe ich positiv nach dem Morast und Sumpf der vergangenen Tage. Die Szenerie des großen Stroms tut das Übrige.

Mittendrin bricht die Fier aus einer Kerbe im Bergrücken, die die Natur einfach aus einer Laune heraus geschlagen zu haben scheint.

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Danach gleicht die Rhone eher einem See. Tatsächlich dient sie zum Schwimmen oder Schiffchenfahren. Das geht natürlich nur durch Stauen. Generell ist das Konzept: Staumauer mit Stromgeneratoren, Stausee mit Erholungsgebiet.

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Ich treffe zum ersten Mal auf einen Wanderkollegen. Ein junger Franzose, frisch, agil!

Meine in zehn Stunden Volkshochschule erworbenes Französisch reicht nicht für eine Konversation. Sein Englisch beschränkt sich auf Yes and No. Trotzdem versucht jeder herauszubekommen, woher der andere kommt und wohin er will. Die Antworten erdenkt sich dann jeder selbst besten Gewissens.

Ich habe eher verstanden, woher er nicht kommt und wohin er nicht will: er kommt nicht aus Genf, er geht nicht nach Le Puy. Der riesige Knutschfleck an seinem Hals ist frisch. Er kann also noch nicht lange unterwegs sein. Hier hat Irgendeine in der Spätpubertät Besitzrechte angemeldet. Auf der anderen Seite wird ihn sein Hormonspiegel schnell wieder zurücktreiben.

Beim Aufstieg zum Hochufer bei Motz kommt er erstmal ins Schwitzen, muss sich seiner Jacke entledigen und diese verpacken. Ich gehe weiter.

Ich will lieber in der Sonne durch ein Weinfeld als schon wieder im schattigen Grün eines Waldes auf dem ausgeschilderten Jakobsbach verschwinden. Zweidimensional betrachtet ist das kein Problem, da der beabsichtige Weg wieder auf die offizielle Route heranführt. Dreidimensional betrachtet aber schon, da der angenommene Kreuzungspunkt ein paar Meter über ihr liegt. Ich habe die Wahl, in kurzen Hosen durch frische Brennnesseln und sonstiges Gestrüpp abzusteigen oder umzukehren und einen Umweg von mindestens einen Kilometer in Kauf zunehmen. Ersteres soll gut gegen Rheuma sein. Da ich keines habe, entscheide mich für letzteres.

Weil ich schon frustriert bin, rege ich mich gleich auch noch über meine Schuhe auf, in denen mittlerweile ganze Kiesladungen auf meine sensiblen Fußsohlen drücken.

Der kleine Franzose verschwindet mittlerweile im Wald am Horizont.

Gegenüber von Le Chetraz wird es Zeit zur Nahrungsaufnahme. Eine Mauer bietet die seltene Gelegenheit auf der Via Gebennensis, diese im Sitzen vorzunehmen. Die herumwieselnden Minidrachen in Form von Eidechsen verhindern, der Versuchung nachzugeben, sich auszustrecken und für ein paar Minuten die Augen zu schließen.

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Mit den zumindest kurzfristig kieselfreien Schuhen geht es in unmittelbarer Nähe der Rhone weiter. Die nächste Staumauer is noch weit. Der Strom fließt ungebremst. Irgendwie auch bedrohlich! Ich mag mir nicht vorstellen, was hier passiert, wenn das Eindämmungssystem einmal außer Kontrolle gerät.

Die Idylle im Auwald trügt. Noch vor ein paar Stunden stand auch hier das Wasser. Nur die Spur des Franzosen zeichnet sich im Sediment auf dem Pfad ab.

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Andererseits sind die Behausungen La Loi nur durch kleine Dämme vor einem möglichen Hochwasser geschützt. Auf jeden Fall eine Gelegenheit, sich an den Treppen hinzusetzen und die Schuhe von lästigem Geröll befreien.

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Unter der Brücke der D904 über die Rhone treffe ich dann wieder den Kollegen. Diesmal müde! Den Rucksack hat er an einen Wegweiser gestellt. Wieder der Versuch einer Konversation! Am Schluß weiß ich durch Zeigen auf die dort aufgemalten Namen, dass er bis nach Chanaz geht, und er, dass ich bis nach Jongieux will. Ich zeige auf das GPS Display und sage: „Treize kilomètres!“. Ich sehe nur Fragezeichen in seinen Augen und zähle bis zehn: „Une, deux, trois, …, neuf, dix“. Ich schnippe mit den Fingern und zeige auf das Display. Er versteht und sagt: „Ah, onze! Ah, douze! Ah, voilà treize kilomètres!“. Ich glaube: „Habe ich doch gesagt!“. Auf jeden Fall ist er jetzt von meinem Garmin begeistert.

Ich will weiter. Der Jakobsweg führt neu von der Rhone weg durchs Hinterland. Ich sehe natürlich zuerst die zusätzlichen Meter und bin nicht entzückt. Allerdings kann ich mir beim Blick in das zu durchquerende Gebiet schon eine Hochwassergefährdung vorstellen. Da ich nicht noch einmal umkehren will, folge ich halt der Ausschilderung.

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Bei der Rückkehr auf die Originalroute an der Rhone kann ich zurückblickend feststellen, dass der Entschluss richtig war! Ansonsten hätte mich nur Watten durch knietiefes Wasser hierher geführt.

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Der Etang Bleu unter dem Mollard de Vions ist ganz und gar nicht blau, sondern hochwasserdreckig eingefärbt. Normalerweise umrundbar heißt es auch hier „Land unter!“

Es wäre zu schön gewesen, hier eine Pizza Salami zu verspeisen. Selbstverständlich ist die Hütte geschlossen!

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Zwei Kilometer sind es auf dem breiten Rhonedamm noch bis Chanaz. Der Blick geht weit und in der Ferne ist eine Person mit Rucksack auszumachen. Ich setze mir in den Kopf aufzuschließen und gehe High Speed. Doch der Abstand von circa fünf Minuten verringert sich nur minimal. Als ich am Staudamm ankomme, ist sie bereits mit der Besichtigung fertig und setzt den Weg fort. Am Sonntag habe ich sie in Beaumont beim Einzug in die Fromagerie beobachtet.

Es geht mir offensichtlich nicht schlecht. Trotzdem ist eine Pause notwendig. Bis Jongieux ist es noch ein Stück! Sich auf einen der körperpassgenauen Steine setzen, den Rucksack abnehmen, die Schuhe ausziehen und die Füße ausdampfen, ein Schluck warmes Wasser aus der Plastikfasche, ein drittes Mal Käsebrot mit Apfel. Herz, was willst du mehr?

Chanaz ist das, was man Tourismus nennt.

Für eine Unterkunft direkt über dem Wasser mit eigenem Bootanlegeplatz direkt darunter kann ich vielleicht sogar kurz das Wohnmobil eintauschen. Allerdings nur ohne Mücken!

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Senioren eines Altenheim schlürfen heute ihren Kaffee und Kuchen einmal mit Blick auf den Staudamm. Vielleicht fahren sie sogar mit einem der Ausflugsschiffe auf dem Canal de Saveres von der Rhone zum Lac de Brouget. Über-sechzig-Jährige zahlen wahrscheinlich auch in Frankreich bloß die Hälfte.

Im Kern von Chanaz lässt sich idyllisch auf einen der Holzstege auf dem Wasser dinnieren. Sie werden gerade mit Dampfstrahlern vom Entenkot befreit. Doch am Abend deckt man die Tische mit weißen gestärkten Stoffservietten. Als Vorspeise reicht man Froschschenkel nach Art der Province. Den Gaumen neutralisiert Savoier Wein aus der Region kurz geschwenkt in großvolumigen Gläsern mit hellem Klang. Ein kurz angebratenes Stück dezent marmoriertes Filet von der Savoier Jungferse mit Artischocken aus der Bretagne bildet den Hauptgang. Das Desert ist Geheimnis und Überraschung des Hauses. Überschüssiges Baguette verfüttert der Tierfreund an die wartenden Enten bei Kerzenlicht.

Solche eiweißreichen Genüsse resultieren in der Ausschüttung von Salzen der Harnsäure und oft schmerzhafter Akkumulation in diversen Gelenken. Es ist deshalb besser, darauf zu verzichten und den Ort sofort zu verlassen.

Verlassen heißt hier steiler Aufstieg. Aufstieg heißt derzeit ein zu einem Bachbett mit viel Geröll ausgeschwemmter Weg, das selbst jetzt noch knöcheltiefes Wasser führt. Oben angekommen kann ich nur wieder dankbar sein für mein Herz-/Kreislaufsystem.

Noch ein kurzer Blick zurück auf den heutigen Weg …

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… und dann schaukle ich mit mehr Bergab als Bergauf Jongieux zu.

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Weinberge, nichts als Weinberge!

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Kurz vor Jongieux hadere ich dann zu Unrecht mit der Führung des Jakobweges als dieser bergab geht obwohl die Straße zum Ort bergauf führt. Es wird philosophisch: warum muss ich zuvor bergauf gehen, wenn ich jetzt wieder bergab gehen soll. Da scheint es mir, logischer bergauf zu gehen. Nach dreißig Kilometern darf man sich auch mal täuschen.

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Jongieux besteht aus Weingütern. Überall könnte man jetzt Wein verkosten. Mir reicht es aber für heute!

Meine Frau hat wieder einen schönen Stellplatz gefunden mit einmaligen Blick ins Rhonetal. Bei gerösteten Maultaschen mit einem knackigen Salat werden wir der Sonne beim Untergang zuschauen und dann unter dem Schutz der Toten im benachbarten Friedhof eine hoffentlich gute Nacht verbringen!

Von Chaumont bis Seyssel

(Chaumont/Seyssel, Dienstag, 05.05.2015)

In der Nacht hat es nicht geregnet. Jetzt regnet es gerade auch nicht. Trotzdem ist ein Regenguss nicht auszuschließen. Dann machen wir halt so weiter!

Heute geht es über Desingy nach Seyssel in das Tal der Rhone.

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Ich verlasse Chaumont nicht, ohne nochmals einen Blick auf die Blumen bewachsenen Mauern zu werfen. Dann geht es steil bergab auf historischem Pfad nach Frangy. Die zwei kleinen Zehen des linken Fußes werden gegen die Schuhkappen gedrückt. Ein Piecken verrät, dass die Haut bereits stellenweise abgeschürft ist.

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Frangy liegt an einer verkehrsreichen Straße und ist ungewohnt laut. Hier hätte ich mich mal wieder mit Dingen des täglichen Bedarfs versorgen können. Dies ist in sofern bemerkenswert als diese Gelegenheit in den letzten zwei Tagen nicht gegeben warf. Sonst aber schnell weg von hier!

Ich verlasse den Ort über den Usses, der schon kein Hochwasser mehr führt. Die neue Vegetation in seinem Bett ist allerdings völlig niedergewalzt. Er war bis zum Rand voll.

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Es geht bergauf wie es vorher bergab ging. Nach zwei Stunden stellt sich routinemäßig mein Hunger ein, der sofort gestillt werden will. Geeignete Orte sind rar auf der Via Gebennensis. Auf einem verlassener Bauernhof finde ich zumindest eine Sitzgelegenheit in einem Kuhstall.

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Wären die Wiesen trocken, würde ich jetzt eine Stunde schlafen. Jetzt geht das natürlich nicht. Stattdessen schleppe ich mich weiter. Zumindest der Untergrund ist jetzt fest.

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Teilweise zumindest! Dann steht sogar eine Kneippkureinlage an. Alles kein Problem! Denn trockene Füße hatte ich bis jetzt sowieso noch nicht.

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Dann erscheint endlich das Rhonetal unter mir.

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Nocheinmal die typischen Leiden beim Abstieg und schon bin ich in Seyssel!

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Die Wasservorräte im Wohnmobil gehen zu Ende und die Batterien müssen geladen werden. Zum Auffüllen bzw Laden müssen wir auf den örtlichen Campingplatz. Für fünfzehn Euro die Nacht ganz ok! Sogar kostenloses ist WLAN ist verfügbar.

Von Beaumont bis Chaumont

(Beaumont/Chaumont, Montag, 04.05.2015)u

Es geht von Beaumont nach Chaumont.

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Ich bin offensichtlich zu faul, etwas zu schreiben.

Von Genf bis Beaumont

(Genf/Beaumont, Sonntag, 03.05.2015)

Der Start zum Jakobsweg 2015 auf der Via Gebennensis soll in Genf an der Fontaine d’Eau erfolgen. Die Zufahrt dorthin ist jedoch gesperrt. Macht auch nichts! Dann eben von einem anderem Punkt in der Nähe!

Leichter geschrieben als getan! Es ist nicht einfach, selbst an einem Sonntagmorgen in der Genfer City einen Halteplatz für einen Fiat Ducati Kastenwagen mit 6350 mm Länge, 2060 mm Breite und 2580 mm Höhe zu finden. Nach einer längeren Irrfahrt, die immer an irgendeiner Straßensperre wegen einer Sportveranstaltung endet, bietet eine gelb markierte Fläche vor dem Musee d’Art eine verbotene Gelegenheit zum Halt. Jetzt muss es schnell gehen, um die Schweizer Ordnungskräfte vom zwanghaften Erfüllen ihrer Pflicht abzuhalten! Schnell die Wanderklamotten angezogen, den Rucksack gepackt, die Route nach Beaumont im GPS selektiert, den Regenschirm unter den Arm, und ab! Eine sehr spontane Aktion nach einer wirklich langen Vorbereitung!

Aber da ist ja noch das bewohnbare Auto! Meine liebe Frau hat sich nach langwierigen Verhandlungen bereit erklärt, mein Gite d’Etape Mobile zu chauffieren. Leider kennt sie nun nicht einmal den Namen des ersten Zielortes, geschweige den Weg dorthin! Das gemietete Gefährt hat natürlich ein nagelneues Navi mit selbsterklärender Benutzerführung, die Ziele besonders einfach wählen lässt. Aber nicht so wie im gewohnten Alten! So braucht es schon ein paar Versuche, um B e a u m o n t einzugeben! Dafür werden wir dann mit einer Liste von zwanzig Beaumonts belohnt. Und wer weiß schon, dass unser Beaumont in Haute-Savoie ist?

Meine Begleiterin ist sich nun absolut sicher, das sie niemals am richtigen Ziel ankommen wird. Das Vertrauen in ihr Handy ist überraschender Weise aber ungebrochen. Der Hinweis, alles geht so wie in Deutschland, lässt uns dann doch noch auf getrennten Wegen zu unserem gemeinsamen Ziel starten. „Wenn ich nicht dorthin finde, werde sie dir meinen Standort mitteilen, an dem Du mich abholen kannst.“

Ich verlasse Genf nach Süden über Gaurage. Nach dem Überqueren der Grenze soll es auf französischem Hoheitsgebiet über Neydens nach Beaumont hochgehen, wo am Friedhof übernachtet werden soll. Denn an Friedhöfen sind immer ruhige Parkplätze und meistens frisches Wasser.

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Am Stadtrand fängt es kräftig an zu regnen! Große Tropfen! Trotzdem ist es angenehm warm! Wieder erweist sich der Regenschirm als unverzichtbare Ausrüstung. Das verhasste Atmungs-inaktive Regencape brauche ich nicht.

Dass ich in Frankreich bin, merke ich erst als ein Wegweiser hundert Meter auf die Grenze zurückzeigt. Sie wird zur Zeit durch ein paar alte Matratzen und leere Plastikflaschen markiert. Die Nutzung als Freilufttoilette ist unverkennbar. Für den Abschluss meiner Schweizdurchquerung ein denkbar unwürdiges Ambiente!

Bis Neydens suche ich angestrengt, was nun den Unterschied zwischen der Schweiz und Frankreich ausmacht: eigentlich nur die Nummerschilder der Autos. Dort bin ich dann völlig überrascht, dass der Jakobsweg mich steil den Berg hochjagen will. Zwar ist gar nichts anders zu erwarten, doch hätte ich mir einen bequemeren Abschluss des ersten Tages gewünscht.

Die erste Jakobsfigur aus Holz am Ortsausgang von Neydens läutet dann die Bergetappe ein. Steilst möglich geht es jetzt bergauf! Wer pilgert, muss auch leiden! Büßen?

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Am Akkumulationspunkt nochmals ein mehr feuchter als fröhlicher Blick zurück zum mondänen Genfer See!

Blick nach Genf

Dann heißt es eintauchen in die rustikale Welt von Haute-Savoie. Die Regenfälle machen aus den Wegen tiefe Gräben, in denen ich bis über die Knöchel versinke. Freilich führen diese nicht nur reines Bergwasser, sondern auch darin gelöste Kuhfladen.

Schlammweg

Die zweite Jakobsfigur aus Stein mit abgeschlagener Hand vor der Eglise kündigt vom Ende der ersten Etappe in Beaumont. Die Kirche, die Porta Caeli wie sie in Fribourg heißt, ist freilich mal wieder verschlossen. Wie soll ich da in den Himmel, wenn die Türen dorthin verschlossen sind? Macht hoch die Tür, die Tor macht weit! Freilich mit der Einschränkung: „Es kommt nicht der Herr der Herrlichkeit!“

Beaumont Jakob aus Stein

Mein mobiler Himmel ist inzwischen nicht am Friedhof sondern neben der Gite d’Etape Fromagerie abgestellt. Die Schiebetür steht weit offen und herauslacht ein Engel, der nicht nur den rechten Weg gefunden hat, sondern nun auch meinen Rucksack abnimmt, ein Handtuch und trockenen Trainingsanzug reicht. Frischer Kaffee und Nussstollen der Bäckerei Dürr aus Hemau steht bei geschlossenen französischen Boulangeries bereit.

Entspannt harren wir der Dinge, die sich vor der Unterkunft gegenüber abspielen. Da kommt der Pilger, der überlegt, ob er nun hineingehen soll oder nicht. Eigentlich ist aber klar, dass er gar keine Wahl hat. Da kommen acht Outdoor-gestylte Ü30 Altmädchen (man spricht deutsch), die offensichtlich die ehemalige Käserei übernommen haben und für ein langes Wochenende das Joch des anderen Geschlechts abstreifen.

Spätestens beim ersten Gekreische bin ich überzeugt, dass meine Übernachtungsmöglichkeit zumindest für heute die bessere Alternative ist.